Die Botin des Koenigs reiter2
angepflockt, aber es beißt sein Zaumzeug durch und geht wieder zur Bresche. Also lassen wir ihm jetzt einfach seinen Willen und bringen ihm sein Futter dorthin. Nicht, dass es viel fressen würde. Es ist, als stünde das Tier Wache und warte auf die Rückkehr seines Herrn.«
Das war zu viel. Karigan erinnerte sich daran, wie Kranich Ereals Leiche bewacht hatte, und sie rannte tränenüberströmt aus dem Zimmer.
TAGEBUCH DES HADRIAX EL FEX
Heute früh erwachte ich aus unruhigem Schlaf schweißnass und mit dröhnendem Kopf. Ich hatte einen schrecklichen Traum, in dem die gesamte Welt verfiel – riesige Wälder verfaulten Baum um Baum, und klare Seen wurden schwarz und trüb; der Himmel war braun, die Luft ätzend. Die Sonne jedoch schien leuchtend auf einen einzelnen Himbeerbusch. Die Beeren waren groß und vollendet geformt, vollkommen ungezeichnet von dem Verfall, der überall sonst so deutlich herrschte. Ich begann die Beeren zu essen, und sie waren so süß. Roter Saft triefte mir über das Kinn und die Hände. Ich blickte auf und sah, wie Alessandros mich mit einem breiten Grinsen beobachtete. Er bedeutete mir weiterzuessen, als freue es ihn ungemein, das zu sehen, aber als ich auf meine Hände niederschaute, erkannte ich, dass ich keine Beeren hielt, sondern ein halb aufgegessenes menschliches Herz. Ich hatte keinen Saft an meinen Händen, sondern Blut …
Ich schaudere immer noch, wenn ich an diesen Traum denke, obwohl es schon Abend ist. Die Kopfschmerzen sind den ganzen Tag geblieben, und ich war nicht im Stande, Essen bei mir zu behalten.
Wenn ich über diesen Traum nachdenke, erkenne ich die Wahrheit, die dahintersteht. Ich habe so viel Blut an meinen Händen, und dieser Krieg scheint kein Ende zu nehmen. Alessandros stört das nicht; er denkt sich immer neue perverse
Arten aus, seine Macht zu benutzen, und entwickelt weitere Abscheulichkeiten, die er gegen den Feind einsetzt.
Er behauptet immer noch, dass er mich liebt, und hat mich zu seinem Stellvertreter ernannt, aber das macht mich nur mitschuldig an seinen bösen Taten. Es vergiftet mich, noch mehr als die Gräueltaten, die ich gegen das Volk in diesem Land begangen habe.
Dennoch, ich sehe in Alessandros immer noch den Jungen, der mich, einen Niemand von niederer Geburt, der auf der Straße von Abfällen lebte, aufnahm und zu seinem besten Freund machte, was mir gestattete, wie ein Edelmann zu leben, die besten Schulen zu besuchen und im Offiziersrang in die Armee einzutreten. Es hat mir seither nie an etwas gefehlt, und Alessandros hat mich dafür nur um meine Zuneigung und meine Hilfe gebeten, und ich glaube, mehr will er immer noch nicht.
Als wir aufwuchsen, waren wir unzertrennlich, unsere Leben unwiderruflich miteinander verbunden. Sie sind es immer noch, und so bin ich vergiftet. Der Junge, mit dem ich einmal Ball gespielt habe oder mit dem ich auf die Jagd gegangen bin, hat mir gerade eine Harfe gezeigt, die ein berühmter Handwerker hergestellt hat und die er Varadgrim schenken will. Sie ist ein wunderschönes Stück, das schönste Instrument dieser Art, das ich je gesehen oder gehört habe. Dennoch, es war nicht gut genug für Varadgrim, also hat Alessandros es »verbessert«, indem er die Stimmen von Elt gestohlen und sie an die Saiten gebunden hat. Nun hat die Harfe einen vollkommen unirdischen Klang und erfüllt den Raum mit den Stimmen von Gottes Engeln.
Die Elt, die ihre Stimmen verloren haben, liegen im Sterben. Für sie ist der Verlust der Stimme gleichbedeutend mit dem Verlust des Lebenswillens.
Ich kenne Alessandros nicht mehr. Er ist nicht mehr der Mann, der für mich einmal engster Freund und Vertrauter war.
HIMMELSTURM
Alton bewegte sich in Träumen. Er träumte von dunklen, wirren Zweigen, von Flammen und von gewaltigen leeren Räumen. In den Augenblicken tiefster Verzweiflung kam Karigan wieder zu ihm, ätherisch in ihrem elfenbeinfarbenen Kleid, und flüsterte ihm liebevolle Worte zu, aber dann veränderte sie sich zu etwas Schauerlichem, Beängstigendem. Er wand sich im Fieber, und manchmal erwachte er in vollkommener Dunkelheit.
Während eines solchen Augenblicks tastete er mit zitternden Händen um sich. Er befand sich auf Steinboden, nicht mehr auf der feuchten, moosigen Erde seiner Träume. Der Stein war kühl, und das half offenbar ein wenig, um sein Fieber zu senken. Er schmiegte die Wange an den Boden und glaubte, sich an so etwas wie einen Turm zu erinnern, den er betreten hatte. Wenn das
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