Die Botin des Koenigs reiter2
Briefs. Er war von ihrem Vater. Stevic G’ladheon berichtete von den Vorbereitungen für den Herbsthandel. Er schrieb über Tuchlängen und Schiffsraum auf Flusskoggen, Karawanenrouten und Quadratfuß von Holz. Der ganze Brief ging so weiter bis zum Ende, wo er schrieb:
Ich brauche Dich ebenso wie der König und Hauptmann Mebstone. Du bist eine G’ladheon und ein Kaufmann!
Aber Du solltest auch wissen, dass ich sehr stolz auf Dich bin. Dein Dienst für den König kann dem Clan nur Ehre bringen.
Karigan las den Brief sehr erleichtert. Ihre »Entscheidung«, ein Grüner Reiter zu werden, tat ihrem Vater immer noch weh, aber der versöhnliche Tonfall des letzten Abschnitts zeigte ihr, dass er es endlich zu einem gewissen Grad akzeptiert hatte.
Den Göttern sei Dank, dachte sie und spürte, dass ein paar Schuldgefühle von ihr abfielen.
Sie legte den Brief beiseite und griff nach dem zweiten. Sie erkannte die schöne Handschrift ihrer Freundin Estral Andovian, einer Spielmannsgesellin in Selium. Estral beschrieb ihr Leben in Selium in lebhaften Einzelheiten.
Ich war im Sommer sehr damit beschäftigt, vor allem Anfänger und uninteressierte Schüler zu unterrichten. Du verstehst wahrscheinlich, dass das überwiegend die Kinder von Adligen sind, die sich weniger für den Unterricht interessieren als füreinander.
Karigan schnaubte. Sie beneidete Estral nicht um diese Aufgabe.
Estral beschrieb im Folgenden die Renovierungsarbeiten im Archiv, und Karigan kicherte über die Vorstellung von Meisterarchivaren, die umherhuschten, um uralte Papiere und Bücher zu schützen, die Hände rangen und sich praktisch vor Sorge das Haar büschelweise ausrissen.
Bei der Erweiterung des Archivs haben Arbeiter eine Wand niedergerissen und einen bemerkenswerten Schatz entdeckt
– eine Nische, die vor langer Zeit zugemauert wurde. Darin haben wir ein Manuskript aus der Zeit vor dem Langen Krieg gefunden, das sehr gut erhalten ist. Das meiste davon ist in der Sprache des Kaiserreichs niedergeschrieben, und Teile in Altsacoridisch. Wenn wir mit der Übersetzung fertig sind, werde ich Dir eine Kopie schicken, die Du auch an Deinen Vater weiterleiten kannst; ich denke, Du wirst sie sehr interessant finden.
Estral gab keine weitere Erklärung mehr dazu, sondern grüßte sie nur noch von Mel. Karigan ließ den Brief in ihren Schoß sinken und starrte in die Bäume. Es war typisch für Estral, so geheimnisvoll zu tun und nicht zu erklären, wieso das Manuskript für Karigan und ihren Vater interessant sein sollte. Manchmal war Estral wirklich verwirrend.
Dann fiel Karigan auf, dass der Brief zwei Monate alt war. Sie wusste nicht, wie viel Zeit es brauchen würde, bis dieses Manuskript übersetzt und nach Sacor geschickt worden war. In der Zwischenzeit würde die Neugier an ihr fressen wie eine Motte an einem Schrank voller Wollsachen.
Ein leises Knirschen auf dem Kies riss Karigan aus ihren Gedanken. Sie nahm an, dass der unhöfliche Schreiber oder einer seiner Freunde aus irgendeinem Grund zurückgekehrt war, aber als sie sah, wer da wirklich auf sie zukam, stand sie sofort auf und verbeugte sich.
»Willkommen daheim«, sagte Lady Estora Coutre.
Estora war vielleicht die schönste Frau, die Karigan je gesehen hatte. Ihr Sommerkleid aus mattem Blau betonte die Farbe ihrer blauen Augen, und das goldene Haar fiel ihr in locker geflochtenen Zöpfen über den Rücken. Sie war von dem leichten, frischen Duft von Lavendel umgeben. Ungeschickt versuchte Karigan, ihr Hemd zurechtzuziehen; sie war
sich nur zu bewusst, dass es zu weit war. Im Geiste ging sie rasch eine Liste der anderen Mängel durch: abgebrochene Fingernägel, der schiefe Zopf, den sie am Morgen nachlässig geflochten hatte, und ihre alten Stiefel, die beinahe auseinanderfielen.
»Willst du nicht guten Tag sagen?«, fragte Estora.
»Ich …« Karigan lächelte dünn. »Hallo.«
Estora nahm Karigans Hände. »Ich bin so froh, dich nach dieser langen Reise gesund wiederzusehen. Sollen wir uns hinsetzen?«
Als Karigan vor einem Jahr nach Sacor zurückgekehrt war, hatte sich eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen ihr und Lady Estora entwickelt. Ungewöhnlich, weil Estora Erbin der Provinz Coutre war und normalerweise viel zu hoch über einer gewöhnlichen Botin gestanden hätte. Aber im vergangenen Jahr waren sie einander immer wieder im Garten begegnet, wohin beide kamen, um in Ruhe nachzudenken.
Karigan hatte in Estora eine gute Zuhörerin für ihre Geschichten über
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