Die Botin des Koenigs reiter2
banditenhaftes Gesicht, und die Führer lachten und erklärten, nur jene, die reinen Herzens wären, könnten die »Magie« des Sees spüren.
Ich versuchte es abermals, und zu meinem Staunen glaubte ich tatsächlich etwas zu sehen: das Gesicht einer jungen Frau, die mich anschaute. Sie war hübsch anzusehen, mit strahlenden Augen und langem, dichtem braunem Haar. Seltsamerweise trug sie eine goldene Brosche in Form eines geflügelten Pferdes. Aber die Vision verging bald wieder. Ich habe sie nie zuvor gesehen, und dennoch ist etwas Vertrautes an diesem Gesicht, das ich nicht verstehen kann.
DER STEINERNE HIRSCH
Karigan erschien auf dem Übungsfeld, als der letzte Schlag vom Glockenturm verklang. Soldaten hatten sich bereits an die Arbeit gemacht und übten; ihre Anstrengungen wurden hin und wieder von Grunzen und dem Klacken der hölzernen Übungsschwerter begleitet. Es war warm und feucht, und viele hatten schon die Hemden ausgezogen.
Mehrere Waffenmeister gingen umher, beobachteten die Leute, die ihnen unterstellt waren, und teilten sie zu neuen Übungen ein. Auch Waffenmeister Gresia, die die Reiter ausbildete; war unter ihnen. Sie war eine recht vernünftige Frau, und Karigan warf ihr einen sehnsuchtsvollen Blick zu, denn sie wusste, dass Drent eine ganz andere Art von Ausbilder war. Was hatte er mit ihr vor?
»Mädel?«
Karigan widerstand dem Bedürfnis zusammenzuzucken und drehte sich um. Sie wusste genau, wem diese Stimme gehörte und welches »Mädel« gemeint war.
Dort stand Drent in all seiner aufgeplusterten Pracht, die Fäuste auf den Hüften, die Armmuskeln schwellend, die Äuglein funkelnd. »Während dein rechter Arm heilt, werden wir ein bisschen an dir arbeiten. Ich werde dir beibringen, wie man mit der linken Hand kämpft.«
Wenn Hauptmann Mebstone vorgehabt hatte, Karigan zu
bestrafen, dann war es ein voller Erfolg gewesen. Karigan hatte nur noch eine letzte Hoffnung, sich entziehen zu können.
»Sollten wir nicht erst mit Meister Destarion sprechen? Ich meine …«
»Komm mir nicht mit Meister Destarion!« Drent hustete und spuckte. »Was wir tun, hat seine volle Zustimmung. Wir rühren deinen verletzten Arm nicht an. Aber in der Zwischenzeit gehört der Rest deines Körpers mir.« Er grinste boshaft. »Nur weil du einen verletzten Arm hast, brauchst du nicht zu welken. Ich will zehn Runden ums Übungsfeld sehen.«
»Runden?«
Drent kniff die Augen zusammen. »Du hast doch Beine, oder?« Karigan nickte.
»Du wirst mit ›ja, Meister‹ antworten.«
»Ja, Meister.«
»Lauf!«
Karigan ließ das Handgewicht fallen und machte sich davon.
»Halt!«
Sie kam schlitternd zum Stehen und blickte bestürzt zu Drent zurück.
»Dieses Handgewicht, das du mitgebracht hast«, sagte er, »wirst du in deiner linken Hand tragen. Wie willst du mit der linken Seite kämpfen, wenn du dort keine Kraft aufbaust? Nun heb es auf und lauf!«
Karigan zögerte keinen Augenblick – sie hob das Gewicht auf und rannte. Nach der dritten Runde klebten ihr Hemd und Oberhemd schweißnass am Körper, und das Handgewicht fühlte sich an, als wöge es hundert Pfund und nicht nur eins. Waffenmeister Gresia entdeckte sie, als sie vorbeikam, und lief mit langen, leichtfüßigen Schritten neben ihr her.
»Ich sehe, dass sich Drent um dich kümmert«, sagte sie. Karigan grunzte bejahend.
»Das ist eine große Ehre«, sagte Gresia. »Er nimmt sich nur der begabtesten Schüler an und überlässt den Rest Brextol und mir.«
Wie konnte diese Frau rennen und gleichzeitig reden, und all das so mühelos? »Keine Ehre«, schnaufte Karigan. »Strafe. Von Hauptmann Mebstone.«
Gresia lächelte sie an. »Bist du dir da so sicher?« Dann zwinkerte sie und eilte davon.
Karigan war sich sicher. Vollkommen sicher. Als sie sich weiter antrieb, war sie der festen Überzeugung, dass es sich um eine Strafe handelte.
Die ganze Sache hatte nur ein Gutes: Je schneller Drent dafür sorgte, dass sie wieder zu Kräften kam, desto eher würde man sie wieder auf einen Botenritt schicken, der sie weit von ihm wegbrachte.
Laren lächelte dünn, als die Glocke in der Stadt neun schlug. Zacharias sah sie von seinem Thron herunter an. »Ihr seht aus wie eine Katze, die gerade eine Maus erwischt hat.«
Laren grinste ihm zu, sagte aber nichts. Sie fragte sich, wie Karigan wohl mit Drent zurechtkommen würde. Vielleicht sollte sie sich besser fragen, wie Drent mit Karigan zurechtkam. Sie und Mara hatten darauf gewettet, wie lange Karigan
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