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Die Botschaft Der Novizin

Die Botschaft Der Novizin

Titel: Die Botschaft Der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
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in diese hier.« Sie deutete hinauf zum Epitaph der ersten Äbtissin.
    »Natürlich. Das könnte eine Idee sein. Der Magister auf dem Totenstein zeigt mit einer Hand auf seine Eleven, die andere Hand deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger nach unten, zum Eingangsbild.«
    »Und der Engel dort blickt nicht auf Maria, sondern schaut auf die Zisterne.« Suor Anna lächelte. »Das ist mehr, als wir jemals zuvor herausgefunden haben.«
    »Es sind reine Spekulationen, Suor Anna.« Isabella kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie hatte etwas übersehen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie vermutete, dass die Lösung nicht allzu weit von dem weglag, was sie eben gedacht hatten. »Es ging zu glatt«, sagte sie laut. »Außerdem, wenn die Hinweise eine Leserichtung angeben, heißt es noch lange nicht, dass diese auch einen Sinn ergeben muss. Der Türke schaut auf den Lehrer, der deutet auf die Empfängnis und die wieder auf die Zisterne. Was zieht Ihr für einen Schluss daraus?«
    »Mir fällt dazu leider nichts ein«, gab Suor Anna zurück und beugte sich über die Wiege. Doch die kleine Francesca schlief tief und fest in ihrer sauberen, trockenen und warmen Welt. Isabella beneidete das Kind dafür. Was die Welt sonst an wirren Gedankengängen zu bieten hatte, welche die Gemüter verstörten, das drang noch nicht zu ihr durch.
    »Es erzählt eine Geschichte«, murmelte Isabella. »Jemand verbirgt etwas, das eine Lehre enthält, die Maria, die Mutter Gottes, betrifft und die ...«, Isabella ließ einen Pfiff durch die Zähne hören und bedeckte den Mund sofort mit der Hand, um das Neugeborene nicht zu wecken, »... die in einem Brunnenverborgen wird.« Sie sah Suor Anna erwartungsvoll an. »Eine Geschichte«, murmelte sie.
    Suor Anna schluckte. »Und keine schlechte. Was allerdings noch nicht die Form des Kreuzes erklärt.«
    Wieder biss sich Isabella auf die Lippen und beugte sich tief über die Karte. Sie schloss die Augen, um die Bilder noch eine Idee deutlicher in ihrem Inneren erstehen zu lassen.
    »Es ergibt einen Sinn. Der Araber, der sich in Heimlichkeit ergeht. Er erzählt uns, dass etwas verborgen liegt, das durchaus offengelegt werden kann, wenn man es will. Schließlich könnte er sich ganz verbergen, was er nicht tut. Er zeigt sich, wenn man die Säule in einem bestimmten Winkel betrachtet.« Isabella fühlte, wie ihr Gesicht sich rötete, ein Zeichen innerer Erregung, und auf den Wangen heiße Stellen brannten.
    »Also stellt man sich die Frage, was verborgen wird«, ergänzte Suor Anna und schaukelte die Wiege neben sich mit sanften Armbewegungen.
    »Der Lehrer als Wissender. Also ist es ein Wissen, das man verbirgt. Ein Wissen, das jedoch durchaus gelehrt werden könnte.« Isabella sprach wie in Trance. Sie hatte die Augen geschlossen und sah das Epitaph vor sich, auf dem der Lehrende seine Arme in zwei Richtungen bewegte. Einen Arm ließ er an sich herabhängen und nach unten zeigen, mit dem anderen deutet er auf seine Schüler.
    »Wieder stellt sich die Frage: Was weiß der Wissende?«, ergänzte Suor Anna den Gedankengang Isabellas.
    »Jawohl«, flüsterte diese. »Die Frage lässt sich leicht beantworten: etwas über die Verkündigung Marias. Warum sonst sollte das Bild in dieser Form aufgezeichnet sein. Womöglich hat Maria etwas aufgeschrieben, Suor Anna. Erinnert Ihr Euch? Die Madonna schreibt. Auf dem Pult liegen Feder und Papier. Außerdem versucht sie dem Engel den Blick auf das Pult zu verwehren. Schließlich schreibt eine Frau nicht. Eine Frau kann weder lesen noch schreiben. Eine Frau soll ungebildet,soll dumm bleiben ... was sie natürlich nicht ist, was sie jedoch vor diesem Engelwesen verbergen will ... oder muss.«
    Suor Anna räusperte sich leise. »Folglich zwei Botschaften: Ich habe etwas geschrieben, was mich betrifft, lautet die eine. Ich muss dies vor den Augen der Welt verbergen, lautet die andere.«
    Isabella, die dem Bild in ihrem Kopf nachblickte, bevor sie sich auf das letzte Zeichen stürzte, nickte heftig. »So muss es sein. Und jetzt zur Nummer vier: Der Engel weiß Bescheid. Er blickt auf die Zisterne.«
    Ein Krähen durchbrach ihre Überlegungen. Das dauernde Gerede hatte das Kind geweckt. Jetzt forderte es Ruhe. Suor Anna nahm das kleine Bündel aus der Wiege und legte es sich an die Schulter. Sofort nickte das Neugeborene wieder ein und saugte dabei an seinem Daumen, den es in den Mund geschoben hatte.
    »Weil die letzte Frage lauten muss: Wo liegt es verborgen,

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