Die Botschaft Der Novizin
und darauf ihre Kleine gebettet, die sich an ihr satt trank.
»Das hat mir letztens auch jemand gesagt – kurz danach war sie tot«, meinte Isabella, als sie sich im Zimmer des Gasthofs neben Suor Anna setzte, und versuchte gleichzeitig die düsteren Gedanken an Julia Contarini zu verdrängen, die sie befielen. Schließlich hatte sie das Mädchen liegen lassen und war davongelaufen – und kurz danach war es tot gewesen. Sie wollte nicht dasselbe Schicksal teilen. Ihre eigene Flucht musste vorbereitet sein, und sie musste etwas in Händen halten, um sich abzusichern.
»Was wisst Ihr über die Madonna im Eingang bei der Pforte?«, fragte Isabella. Der Raum roch nach süßer Milch und dem unverwechselbaren Duft eines Säuglings. Ein Duft, der so anziehend war, dass sie schlucken musste. »Das Bild über dem Türstock.«
Sie hatte es sich angesehen, bevor sie das Kloster verlassen hatte. Im Vorraum der Pforte hatte sie sich umgedreht und das Gemälde noch einmal genauer betrachtet. Jede Einzelheit hatte sie sich eingeprägt: die Schreibfeder, die Maria in der Hand hielt, das Spruchband, das sich so krumm über dem Erzengel in den Himmel schlängelte, den Spruch selbst ...
Diesmal war der Zweifel ausgeräumt, der sie beim Betrachten am Tag ihres Eintritts befallen hatte. Der aufgebauschte Mantel verhinderte tatsächlich den Blick auf das Pult. Der Engel sollte nicht sehen, was darauf geschah. Die gesamte Haltung Marias wirkte nicht wie eine freudige Erwartung, sondern vielmehr ablehnend, ebenso wie der gequälte Gesichtsausdruck. Noli me tangere! stand auf dem Band, deutlich zu entziffern, obwohl einige Buchstaben bereits nicht mehr zu lesen waren. Berühre mich nicht!
»Was will der Satz sagen, Anna? Auch dieses Spruchband. Irgendwiekommt es mir bekannt vor. Ich weiß jedoch nicht, wo ich es bereits gesehen habe.«
Die Frage hatte sie beschäftigt, bis sie den »Roten Ochsen« betreten hatte. Sie ließ ihr keine Ruhe. Ihr war es, als wühlte die Erinnerung daran alles in ihrem Kopf um und um, und hinterließ darin eine heillose Verwirrung.
»Marcello war hier und hat nach dir gefragt. Er wollte dir etwas sagen«, unterbrach Anna ihr Grübeln.
»Er wird wiederkommen«, sagte Isabella leichthin. »Also, was weißt du über die Marienfigur?«
Im Gebäude begann plötzlich ein Lärmen und Schreien, dass sich die beiden Frauen verblüfft ansahen. Suor Anna zuckte die Schultern, um anzudeuten, sie wisse ebenso wenig, was dies bedeuten solle, wie Isabella. Tiefe Männerstimmen grölten, und schwere Fäuste hieben auf die Holzbohlen der Tische ein. »Betrunkene!«, kommentierte Isabella. »Seeleute.«
Anna, die gerade dem Kind die zweite Brust herrichtete, beugte sich zu ihrem Schatz hinab und seufzte gleichzeitig. Die kleine Francesca sah sie mit offenen blauen Augen an, als würde sie alles verstehen, was sie sagte. Doch der Lärm störte sie. Das zufriedene Lächeln verschwand und machte einer knittrigen Miene Platz.
»Sie soll es einmal besser haben. Besser als ich selbst, als du. Sie darf nicht in einem Gefängnis aufwachsen, in Mauern aus Gedanken und Zellen aus Worten. Hast du dir das Bild genau angesehen?«, fragte die Nonne scharf. »Jeder will uns Frauen bevormunden. Nichts sind wir in dieser Welt wert.« Mit einer Kopfbewegung deutete sie nach unten in Richtung des Schankraums. »Fleisch für die Männer und ihre Gelüste!«
Isabella versuchte zu protestieren, doch die Chornonne brachte sie zum Schweigen. »Verteidige sie nur, deine Unterdrückung! Mit der Bibel nimmt sie ihren Anfang. Wir Frauen hätten die Sünde in die Welt getragen, weil wir uns von der Schlange kaufen ließen, heißt es; wir Frauen seien unrein,weil in der Heiligen Schrift von der Unreinheit der Frauen steht; wir Frauen müssten dienen und dürften keine Herren sein; wir Frauen dürften nicht lesen und schreiben lernen; wir Frauen sind von allem ausgeschlossen, damit wir den Haushalt führen und sonst ruhig sind, Kinder gebären und sie erziehen. Mit alldem könnten wir Frauen leben. Doch das schlimmste aller Verbrechen an uns ist, dass sie uns behandeln wie Sklaven und dass die Mutter Kirche das zulässt, ja sogar fördert. Widersprich nicht, sogar du bist von deinem Vater an das Kloster verkauft worden!« Suor Anna musste Atem holen, so sehr hatte sie sich in Rage geredet. »Dort unten lauert die Bestie!«, fauchte sie.
Isabella hatte die Hände im Schoß gefaltet, konnte sie aber nicht still halten. Mehr als Suor Annas Tirade
Weitere Kostenlose Bücher