Die Botschaft Der Novizin
beunruhigte sie die Tatsache, dass sich der Lärm ausbreitete. Stiefelbewehrte Füße polterten über die Holzdielen. Aus den Schreien der Frauen, die den Matrosen zu Willen sein mussten, hörte sie heraus, dass die Männer nicht gerade zimperlich vorgingen. Was, wenn sie den hinteren Teil des »Roten Ochsen« entdeckten?
Die Stillende ließ sich Zeit und freute sich, wie gierig der kleine Mund saugte, als gelte es, die ganze Brust zu leeren. Nur bei allzu großem Geschrei zuckte die Kleine zusammen, doch der Hunger ließ sie alles andere vergessen.
»Das Bild zeigt, dass es anders geht. Diese Maria zeigt kein Anzeichen von Demut. Im Gegenteil, die Verkündigung erscheint ihr lästig, als käme sie ihr ungelegen oder zumindest zu einer Zeit, zu der sie lieber anderes getan hätte. Sie ist eine starke Frau, kein Gefäß Gottes. Sie will sich nicht gängeln lassen.« Das alles stimmte mit dem überein, was Isabella aufgefallen war. »Sie schreibt, nicht wahr?«, warf Isabella ein. Eine schriftkundige Frau in einem Kloster, das kein Skriptorium besaß, weil es ein Frauenkonvent war, und aus dem die Visitation des Patriarchen und seines römischen Adlatus gerade die letzten privaten Buchbestände entfernte.
»Sie schreibt. Sie kann lesen und schreiben«, sagte Anna. »Sie schreibt gerade etwas nieder, als sie gestört wird. Sie ist vom Pult aufgesprungen, weil sie nicht will, dass der Engel liest, was sie schreibt. So einfach ist es.«
»Noli me tangere!« , flüsterte Isabella. »Jetzt verstehe ich es. Der Engel soll sie nicht berühren. Sie will nicht benutzt werden.« Suor Anna nickte. Die Kleine war mitten im Trinken eingeschlafen, und das rechte Ärmchen hing schlaff zur Seite herunter. Doch immer wenn die Warze aus dem kleinen Mund zu rutschen drohte, saugte sich die Kleine erneut fest.
Dann schreckte sie hoch. Ein Schlag krachte gegen die Tür des Zwischengangs. Ein Brüllen folgte, dann ein Klatschen und ein gurgelnder Aufschrei, als würde ein Mann gewürgt.
»Sie prügeln sich um ein Mädchen«, flüsterte Anna und versuchte, das Kind zu beruhigen, damit es nicht schrie. Isabella war hin-und hergerissen zwischen dem Wunder auf Annas Arm und dem Gepolter draußen vor der Tür.
»Ich will hier raus«, fuhr Anna unvermittelt fort. »Ich will mein Leben nicht in diesem Kloster verbringen. Ich will Kinder und einen Mann und in Freiheit leben. Und ich will nicht solchen Barbaren in die Hände fallen.« Suor Anna senkte die Stimme und flüsterte. »Es gibt Nonnen, die ihre Klöster verlassen und ein freies Leben führen wie andere Frauen auch.«
»Ihr meint, wie diese Katharina von Bora, die Luther nachgelaufen ist?« Isabella hatte in einer Spottschrift darüber gelesen, in einem Einblattdruck, den ihr Vater vervielfältigt hatte. »Das ist unmöglich. Niemals kommt Ihr aus dem Kloster heraus. Und wenn Ihr draußen seid, wie wollt Ihr aus Venedig herauskommen? Die Stadt ist wie eine Festung. Niemand gelangt übers Wasser hierher, niemand kann aus ihr fliehen. Erinnert Euch an die junge Barbarigo. Sie ist über die Mauer gestiegen, hat sich ins Wasser fallen lassen, ist bei einem Fischer untergekrochen, der ihr versprochen hat, sie aufs Festland zu bringen. Er hat sie missbraucht und schließlich verraten. Statt aufsFestland hat er sie, eingenäht in einen Sack, direkt ins Kloster zurückgeschafft.« Es war ein Fall, von dem man überall in Venedig getuschelt hatte.
Suor Anna nahm die Kleine endgültig von der Brust. Das Gesicht des Kindes verzog sich, als wolle es schreien, doch als seine Mutter es an die Schulter legte und ihm beruhigend auf den kleinen Rücken klopfte, glätteten sich die Gesichtszüge, und es schlief weiter. Auf dem Gang hinter der Trenntür blieb im Augenblick alles ruhig. Nur das Gegröle aus dem Schankraum ließ die Wände zittern.
»Die junge Barbarigo hatte keine Erfahrung. Es genügt nicht, nur die Mauer zu übersteigen. Man muss die Mauern in sich niederreißen. Wenn das geschehen ist, braucht man einen Plan. Einen guten Plan.«
»Wenig später versuchte es Suor Archangela aus dem Kloster Santa Maria Maggiore. Eine Franziskanerin. Sie hatte sich sogar eine Gondel gemietet. Ihr wisst, was mit ihr geschehen ist. Man fand sie ertrunken in der Lagune. Ein Kind unter dem Herzen. Viele Frauen haben es versucht, und keiner ist es gelungen. Das Meer war gegen sie, die Stadt war gegen sie, die Kirche war gegen sie. Gegen diese drei Widersacher ist jeder Plan zum Scheitern
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