Die Botschaft Der Novizin
dieses Wissen der Maria?« Suor Anna schaute verschwörerisch zu Isabella hinüber.
Isabella dachte an das Chorbuch und was sie dort gesehen hatte, in der letzten Initiale, die mit einem Juwel geschmückt gewesen war. In der Zeichnung, die dazugehörte, waren zwei Delfine zu sehen, der eine ab-und der andere aufsteigend. Das Wissen, das in der Tiefe verborgen lag, war daher dazu bestimmt, wieder ans Licht gebracht zu werden.
Einen Gedanken allerdings wagte Isabella nicht auszusprechen. Die Symbolik des Delfins deutete auf eine besondere Bestimmung dieses Wissens hin. Es sollte keineswegs verborgen bleiben, sondern nach außen wirken, der Welt helfen.
»Es liegt in der Zisterne!«, sagte Isabella und schluckte. »Es muss in der Zisterne liegen.«
Suor Anna wiegte sich vor und zurück, beide Arme um das
Kleine geschlungen, das sich mit geschlossenen Augen dem
Wohlbehagen der Mutterwärme hingab. Isabella, die ihre Augenöffnete und das Bild genoss, das sich ihr bot, dachte an undeutliche Erinnerungen aus ihrer eigenen Kindheit, als auch sie in den Armen der Mutter geborgen war und ebenso in denen des Vaters. Irgendwann vergingen diese Gefühle und machten einer Normalität der Härte Platz. Nur die Erinnerung schwelgte in solchen Gedanken und Gefühlen. Man durfte sie nicht untergehen, sie sich nicht nehmen lassen, musste sie behüten und bewahren für schwere Zeiten.
»Aber dort unten ist doch alles nass!«, wand Suor Anna ein. »Dem Wasser hält nichts stand. Nicht siebenhundert Jahre lang.« Isabella hatte das Gefühl, einen Krug dieses Zisternenwassers über den Kopf gegossen bekommen zu haben. Was Suor Anna eben gesagt hatte, stimmte natürlich. Wie sollte sich im Wasser des Speichers unter dem Innenhof ein Gegenstand erhalten, der so empfindlich war wie ein ... wie ein ... Sie konnte das Relikt nicht beschreiben, denn sie wusste nicht, wie es aussehen sollte. Bislang war sie von einem Schriftstück ausgegangen. Doch es konnte ebenso gut ein Stein sein. Auch konnte man die Botschaft in die Wände der Zisterne gemeißelt oder als Mosaik in den Boden eingelassen haben. Sie würde es nur in Erfahrung bringen, wenn sie das Äußerste wagte. Und Isabella wusste, dass die Entscheidung ihres Vaters sie zu einem entschlossenen Handeln drängte.
»Es gibt viele Möglichkeiten, Wissen weiterzugeben, wenn man es will. Wir werden sehen«, sagte sie in das knurrige Aufwachen der kleinen Francesca hinein. »Tatsächlich sehen. Mit eigenen Augen. Ich werde in die Zisterne hinuntersteigen!«
KAPITEL 45 Padre Antonio knirschte mit den Zähnen. Die Karte war weg, Isabella war weg, und wieder hatte es zwei Tote gegeben. Die Nachricht vom Tod der Julia Contarini war bereits durch die Stadt gebrandet wie eine Woge, die der Sturm in die Lagune drückte. Die Nonnen hatten sich in ihre Zellenverkrochen, der Patriarch vergnügte sich wahrscheinlich mit den jungen Damen des Konvents, und Isabella Marosini blieb verschwunden. Wenn er wenigsten gewusst hätte, wo sie sich befand, wäre ihm wohler gewesen. So fürchtete er für die Educanda das Schlimmste.
Wind war aufgekommen und trieb dichtes Gewölk über die Lagunenstadt weg. Wenn man sich an einen der Kanäle stellte und direkt nach oben schaute, wurde einem schwindlig, so sehr zog das Wolkentreiben den Blick mit. Man wurde das Gefühl nicht los, als schieße die Stadt wie ein Schiff durchs Wasser, und das Schaukeln und Wiegen wurde so deutlich fühlbar, als stünde man auf dem Deck einer Galeere.
Padre Antonio zog den Kopf zwischen die Schultern und bahnte sich seinen Weg durch die Gassen. Ihm war übel ob dieser allumfassenden Bewegung. Und der Gestank der Kanäle verstärkte das Gefühl. Deshalb hatte er sich für den Fußweg entschieden, auch wenn der ihn über die gesamte Insel führte. Er musste mit dem Bibliothekar reden. Der Alte war die einzige Person weit und breit, die ihm jetzt weiterhelfen konnte. Die schmalen Gassen der Stadt verdoppelten und verdreifachten den Druck der dahinströmenden Menschen, weil sie diese wie in einem Schlauch immer enger zusammenpressten. Padre Antonio hatte das Gefühl, als wären mindestens ein Dutzend ausländischer Galeeren im Hafen eingelaufen und deren Besatzungen überfluteten mit ihrer unflätigen Ausgelassenheit die Stadt. Sie schienen irgendeinen Sieg zu feiern oder einfach nur das Glück, die unmenschliche Plackerei auf diesen Schiffen mit ihren tiefen Bordwänden überlebt zu haben.
An manchen Brücken drückte er sich lieber
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