Die Botschaft Der Novizin
rasende Kopfschmerzen.
»Julia? Das arme Ding stammt aus einer Familie, die viel Geld damit verdient, Geld anderer Leute anzulegen und zu vermehren. Eine ganze Reihe von Nonnen aus San Lorenzo und anderen Klöstern haben ihnen ein Teil ihrer Mitgift anvertraut. Sie verwalten dieses Geld; Gewinne werden den Nonnen gutgeschrieben. Nur so können manche Frauen ihren aufwändigen Lebensstil führen ...«
»... oder sich Mittel besorgen, um sich außerhalb Venedigs eine Existenz aufzubauen.« Der Gedanke kam ihm spontan, und er hielt sich die Hand vor den Mund, als er bemerkte, dass er laut gedacht hatte.
»Das gelingt nur wenigen, und auch nur, wenn ihnen geholfen wird«, flüsterte der Alte.
»Ich sehe nach Euch«, fügte Padre Antonio lauter hinzu.
Der Alte schien ihn nicht gehört zu haben. Mit geschlossenen Augen und gequälten Gesichtszügen gab er ihm Dispens.
Durch das Oberlicht drang Licht ins Innere des Raums. Die Atemzüge des Alten hatten sich in ein rasselndes Ziehen verwandelt.
Padre Antonio drehte sich um und ging langsam hinaus. Eile war nicht mehr angebracht. Entweder hatte ihn die tödliche Krankheit im Griff, und dann lag alles in Gottes Hand, oder er würde von ihr verschont bleiben. Daran ließ sich nichts mehr ändern. Einzig die Ziele, die er jetzt vor Augen hatte, beschleunigten seinen Gang. Er musste herausfinden, wie es in die Zisterne hinabging, und er musste sie durchsuchen. Am besten noch heute Nacht. Dafür waren jedoch einige Vorbereitungen zu treffen. Außerdem musste er erfahren, wer von den Nonnen Geld bei den Contarini hinterlegt hatte. Dabei stutzte er. Er hatte den Bibliothekar immer noch nicht nach dem Namen gefragt. War er vielleicht selbst ein Contarini?
Er wollte eben den Raum verlassen, als ihn die matte Stimme des Alten noch einmal innehalten ließ.
»Padre!« Die Stimme raschelte wie Papier und war kaum hörbar. »Nehmt einen Schlüssel mit. Er hängt ... «, weiter kam der Alte nicht, da ihm ein Hustenanfall die Worte aus dem Mund riss. Padre Antonio lächelte. Er wusste genau, wo sich der Schlüssel befand, mit dem der Bibliothekar die Pforte aufschloss. Er hing in einem Metallkasten hinter dem Eingang. Er hatte ihn schon letztens mitnehmen wollen, damit er die Bibliothek auch nachts einmal besuchen konnte, ohne den Alten im Nacken zu haben. Heute würde er es ganz offiziell tun.
Ohne einen weiteren Gedanken an den Bibliothekar zu verschwenden, eilte er zum Ausgang und machte sich auf den Rückweg zum Kloster.
V IERTER T EIL
D ER B RUNNEN DER
D ELFINE
KAPITEL 46 Sie waren eingefallen wie die Piraten und hatten den »Roten Ochsen« geentert. Eine ganze Galeerenmannschaft hatte die Mädchen in die Zimmer hinaufgetrieben und Isabella daran gehindert, ihren Plan zu verwirklichen, nach San Lorenzo zu gehen.
Für einen Moment hatte Isabella daran gedacht, dass San Lorenzo auf dem Weg zwischen dem Arsenale und dem »Ochsen« lag – und Julia Contarini einer Horde dieser Kerle in die Hände gefallen sein konnte. Das Bild des Mädchens, das an den fondamenta des hinteren Gärtchens gestanden und sehnsüchtig nach Hilfe Ausschau gehalten hatte, als die Boote vorübergefahren kamen, wollte sie nicht verlassen und stand vor ihrem inneren Auge.
Der anhaltende Lärm holte sie jedoch in die Gegenwart zurück. Mit wildem Zorn hieben die Kerle auf die Tische ein, um ihre Kameraden im Obergeschoss zu größerer Schnelligkeit anzuspornen. Der Wein verwandelte sie in Bestien, und Suor Patina wagte sich nur noch in den Schankraum, weil Hammar, der schwarze Riese, sie begleitete und nicht mehr von ihrer Seite wich. Selbst der betrunkenste Seemann verwandelte sich in ein Lämmchen, wenn der Schwarze ihn mit seinen blutunterlaufenen Augen ins Visier nahm.
Isabella kauerte mit Anna in ihrem schmalen Raum. Sie zitterte und hielt sich zugleich die Ohren zu, um das Gestöhne und Gewimmer der Mädchen im Gang neben ihnen nicht mit anhörenzu müssen. Solch einen Ausbruch männlicher Gewalt hatte sie noch niemals erlebt, und er brachte ihr das Kloster als Ort des Rückzugs vor der Rohheit dieser Welt einen Schritt näher. Solche Szenen konnten sich hinter den Mauern der Kontemplation und der Versenkung nicht abspielen, ungeachtet dessen, was sich sonst dort an Sündhaftem tat.
Anna hatte ihre Tochter wieder an die Brust gelegt, damit sie nicht schrie. Wenn ein Ton von ihnen in den Gang hinaus und hinüber zu den Galeotti gedrungen wäre, hätten sie sicherlich die Zwischentür
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