Die Botschaft Der Novizin
versuchte.
Die beiden Frauen sahen sich alarmiert an. Jetzt war Schluss mit der Heimlichkeit. Jetzt musste alles schnell gehen.
Der Galeotti auf der anderen Seite würde womöglich der Ursache der Geräusche nachgehen. Sie beide konnten nur hoffen, dass der Alkohol in den Köpfen der Matrosen die Reaktionen der Männer verlangsamte. »Jetzt kommt!«, herrschte Isabella Suor Anna an – und im gleichen Augenblick trieb ein Hämmern und Schreien hinter der Tür zum Gästetrakt die Nonne die Treppehinauf. Der Betrunkene hatte Verstärkung erhalten. Mit letzter Kraft zog Isabella das Gatter von innen wieder zu.
Suor Anna stieg die Treppe nach oben, wobei sie auf jeder Stufe kurz stehen blieb. Dennoch schaffte sie es, rot im Gesicht und schweißbedeckt, bevor die Männer die Tür eingetreten hatten. Isabella schob die Nonne vor sich her, obwohl ihr mulmig zumute wurde und sie gern schneller gegangen wäre. Der Lärm unten nahm zu. Immer mehr Männer kamen offenbar aus den Gästezimmern und erkundigten sich nach der Ursache der Aufregung. Lange, umständliche Erklärungen folgten, in denen immer wieder von weiteren Frauen hinter der Tür die Rede war.
Gemeinsam betraten die beiden Frauen den Söller. Sofort zog Isabella Suor Anna weiter auf die andere Seite des Oberbodens. Der Dachstuhl bestand aus einem Gewirr von Balken und Streben. Durch die Dachpfannen drang diffuses Licht ins Innere. In den Lichtfäden, die den Raum durchzogen, tanzten Feenmotten. Isabella hätte den Lichtgeistern am liebsten den ganzen Tag zugesehen, doch ein nüchterner Lidschlag genügte, und aus den überirdischen Erscheinungen wurden wieder einfache Staubpartikel.
»Wir sitzen in der Falle!«, verkündete Suor Anna, nachdem sie sich umgesehen hatte.
Isabella musste zugestehen, dass es im ersten Moment tatsächlich so aussah.
Unter ihnen knallte die Tür zum Gästetrakt, die wohl von vielen kräftigen Schultern eingedrückt worden war, gegen die Wand. Das Gejohle über diesen Teilsieg verstummte bald und machte einer gefährlichen Stille Platz, die von allgemeiner Verblüffung zeugte. Sicherlich bemerkten die Verfolger jetzt, dass das Zimmer auf der anderen Seite des Flurs bewohnt gewesen war, die Bewohner jedoch verschwunden waren.
Isabella hoffte, dass sie den Zugang zum Söller nicht sofort entdeckten. Sie huschte über die ganze Länge des Speichers undsuchte jede kleinste Ritze ab. »Hierher!«, rief sie und winkte Suor Anna heran, da das Stimmengewirr anschwoll. Offenbar hatte der Betrunkene einige Männer bewegen können, ihm zu helfen.
»Alle Söller sind miteinander verbunden«, flüsterte Isabella, als Suor Anna neben ihr niederkniete. Sie deutete auf einen schmalen Spalt, der sich am Kamin entlangzog. Durch ihn konnte eine schlanke Frau wie sie leicht schlüpfen. Suor Anna war freilich nicht gerade schlank, auch bedingt durch die Schwangerschaft, und das Baby war ein zusätzliches Hindernis. Für sie würde es schwierig werden.
»Bleibt hier. Ich krieche hindurch. Dann reicht Ihr mir die Kleine durch die Öffnung«, sagte Isabella und war auch schon in den Spalt geschlüpft. Er führte tatsächlich ins Nachbarhaus hinüber.
Auf der anderen Seite lehnte sie sich für einen kurzen Moment gegen die Mauer. Der Lärm unten nahm zu. Die Männer suchten nach den verschwundenen Frauen, die sich im Zimmer hinter der Absperrung aufgehalten hatten. Wehe, wenn jemand die Spuren des geöffneten und wieder verschlossenen Gatters entdeckte. Sie würden Jagd auf sie machen.
Was ist das nur für eine Welt, dachte Isabella. Gegen diese Wildnis, in der Frauen der Willkür der Männer ausgeliefert waren, erschien San Lorenzo wie ein schützender Hort. Dort gab es Ruhe, Geborgenheit und Frieden, wie es in der Welt außerhalb der Klosterpforte unvorstellbar war. Andererseits hatte ihr die Begegnung mit Marcello eine Ahnung davon vermittelt, welch wundervolle Süße in den Zärtlichkeiten zwischen Menschen liegen konnte, die sich liebten. Diese wollte sie nicht mehr missen. Niemals mehr.
Gejohle und Geschrei rissen sie aus ihren Gedanken. Die Männer hatten das Gatter entdeckt. Isabella löste sich von der Wand. Mit raschen Schritten suchte sie den Oberboden ab. Im rückwärtigen Abschluss des Dachstuhls war eine Luke. Isabella atmeteauf. Irgendwie würden sie von dort nach draußen kommen. Sie huschte zum Durchgang zurück, hinter dem Suor Anna wartete.
»Suor Anna? Wo seid Ihr?«
Von der anderen Seite her drang ein Seufzer zu ihr herüber.
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