Die Botschaft Der Novizin
zehn Sätze miteinander ausgetauscht.
Es war eine Zerreißprobe. Wer von beiden würde zuerst nachgeben? Wessen Nerven würden zuerst versagen? Langsam gewann Padre Antonio den Eindruck, als bräche er unter der Last des Wartens zusammen, nicht die ehrwürdige Mutter Priorin vor ihm.
Gerade als er sein Schweigen erneut brechen wollte, traf ihn Signora Artellas Gegenfrage: »Was bringt Euch zu dem Glauben, die Novizin Contarini sei ermordet worden?«
Padre Antonio beugte sich vor. Es war das erste Mal, dass sie sich auf seine Frage bezog und keine allgemeinen Klosterweisheiten vorschickte.
»Ich habe mir die Tote angesehen!«, konterte er, wohl wissend, welche Reaktion er damit heraufbeschwor.
»Ihr habt was getan?« Die Priorin fuhr auf, und der hohe Stuhl mit dem Gepränge rutschte nach hinten. Vom Standpunkt des Paters aus sah es jetzt so aus, als trüge Signora Artella ein Geweih, doch er verkniff sich das Grinsen, das sich über seine Lippen stehlen wollte.
»Ich habe der Toten die Kinnbinde abgenommen und mir ihren Hals betrachtet!«, setzte der Pater nach. Bevor Signora Artella auch nur reagieren konnte, hatte er ihr mit einer Handbewegung das Wort abgeschnitten. »Dabei sind mir wie bei Suor Maria Würgemale aufgefallen. Das Mädchen wurde gewürgt, bevor es ins Wasser gestürzt ist.«
»Das .. das ist möglich!«, stammelte Signora Artella. Ihre Augen waren geweitet, und auf der Stirn hatten sich feine Tröpfchen gebildet. »Wer hat Euch gestattet .. das Mädchen ..?« »Habt Euch nicht so! Ich habe mich nur für die Male interessiert, die mit ihrem Tod zu tun hatten. Und noch etwas habe ich festgestellt«, ergänzte er. »Sie ist vor ihrem Tod vergewaltigt worden.«
»Nein!« Die Priorin beugte sich nach vorne. Sie keuchte, ob vor Zorn oder vor Schrecken, und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
Das Bild des blutigen Unterleibs der Novizin, den die Nonnen aus Scham oder Unwissenheit nicht gesäubert hatten, stand vor seinen Augen. Er musste schlucken.
Aber das sollte ihn nicht aufhalten. »Wo ist Isabella Marosini?« Padre Antonio sah seine Stunde gekommen. »Solange der Tod der Novizin nicht geklärt ist, habe ich die berechtigte Annahme, dass der Educanda ein ähnliches Schicksal blüht. Wenn Isabella etwas zustößt, werde ich Euch persönlich dafür zur Rechenschaft ziehen. Mir als Visitator des Klosters seid Ihr zur Antwort verpflichtet. Julia Contarini ist nach Suor Francesca, Suor Maria und Suor Ablata innerhalb kurzer Zeit dievierte Tote in dieser Abtei. Wann wird das Morden ein Ende haben?«
Die Nonne stützte sich auf die Tischplatte, bis ihre Knöchel weiß anliefen. Die Lippen der Ordensfrau zitterten leicht, als unterdrücke sie mühsam einen aufwallenden Zorn. Was er da tat, musste sie tief in ihrem Selbstgefühl verletzen. Und er hatte durchaus vor, weiter in dieser Wunde zu wühlen, um endlich Antworten zu bekommen.
»Die Educanda Isabella befindet sich in Sicherheit.« Signora Artellas Stimme war keine Erregung anzumerken, nur eine eisige Entschlossenheit, die sich weitere Nachfragen verbot. »Es genügt, wenn die Oberin dieses Klosters und deren Stellvertreterin Bescheid darüber wissen, wo sie sich aufhält.« Und damit richtete sie sich zu einer Größe auf, die den Pater verblüffte. Aus der gebeugten Alten wurde eine selbstbewusste Patrizierin, eine der Frauen, die Männer regierten, welche wiederum über die Geschicke der Stadt Venedig entschieden.
Der Pater musste erneut schlucken. Vor solchen Frauen hatte sich die Kirche immer gefürchtet. Statt Demut und Gottesfurcht zeigten sie einen Willen, den Lauf der Welt selbst in die Hand zu nehmen. Auf seinem Gesicht erschien ein gequältes Lächeln, das den Eindruck erweckte, er würde vor der Autorität der Signora kapitulieren. Doch dies hatte er keineswegs vor. »Und wo ist Suor Immacolata? Es ist impertinent, wenn die Äbtissin des Klosters einfach verschwindet, statt sich redlich an der Änderung der Zustände unter ihrer Observanz zu beteiligen! «
Die Nonne hob nur den Kopf und streckte ihr Kinn vor. »Ihr versteht gar nichts.«
»Was verstehe ich nicht, Priorin?«
Stumm schüttelte sie den Kopf. Sie wollte ihm nicht antworten. Vorerst gab er nach, aber er würde sie noch zum Reden bringen.
»Suor Artella«, wechselte er das Thema und musste sich zu seinemeigenen Ärgernis räuspern, weil ihm die Stimme zu versagen drohte, »warum haben Suor Francesca und Suor Maria Geld bei den Contarinis hinterlegt?« Nur
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