Die Botschaft Der Novizin
Isabella, dass ihre Öllampe irgendwann ausgegangen sein musste. Der unterirdische Teich wurde nur schwach vom Oberlicht beleuchtet. »Wir haben am falschen Ort gesucht.«
In Isabellas Kopf überschlugen sich die Gedanken. War sie tatsächlich wieder einem falschen Hinweis aufgesessen? Hatte sie erneut etwas übersehen?
Suor Annas Zähne klapperten. Die Nonne fühlte sich so kalt an wie das Wasser, das Isabella bis zum Hals reichte und sie ebenfalls langsam erstarren ließ. Inständig betete sie darum, dass Marcello sich beeilte.
»Es muss da sein!«, rief sie dem Pater zu.
»Ich ... ich finde es aber nicht«, beteuerte der. An einigen Stellen begann der Pater jetzt zu tauchen, und Isabella befürchtete mit jedem Untertauchen, dass der Geistliche verschwinden würde wie vor kurzem in der inneren Zisterne. Doch der Priester erschien jedes Mal wieder prustend an der Wasseroberfläche. »Nichts. Einfach nichts. Das Becken enthält ebenso wenig ein Manuskript wie einen Fisch.«
Suor Anna schlug die Augen auf. Sie blickte Isabella direkt ins Gesicht. Für einen Moment wirkte der klar, und der Schleier der Kälte war wie weggewischt. Sie musste mehrmals schlucken, weil ihr vor Husten und Wasser die Stimme versagte. Dann erst brachte sie den Satz über die Lippen. »Er hat es!«
»Was habt Ihr gesagt?«, hakte Isabella sofort nach. Die Nonne hatte dem Pater geantwortet, so viel war sicher. »Meint Ihr das Manuskript? Das Evangelium der Maria?«
Die Unterlippe Suor Annas zitterte stark, als sie die Worte wiederholte: »Er hat es!«
Jetzt war sich Isabella sicher. »Wer ist ›er‹?«, stieß sie sofort nach. Doch Suor Anna lächelte nur. »Francescas Vater!«, hauchte sie.
Weiter kam Isabella nicht mehr. Aus der Zisternenöffnung über ihnen klatschte etwas zu ihnen herab. »Isabella? Hörst du mich?«
»Marcello ?«, rief Isabella zurück.
»Nimm das Seil!« Sie banden zuerst den Weidenkorb mit der kleinen Francesca an das Seil, dann Suor Anna. Schließlich stieg Isabella aus dem Wasserbecken. Sie musste nur wenige Fuß hochgezogen werden, dann konnte sie die Trittstufen erreichen und selbst herausklettern.
Nachdem Isabella über den Rand des Brunnensteins gestiegen war, fiel sie zuerst Marcello um den Hals und gab ihm einen Kuss. »Den hast du dir verdient!«, sagte sie. Er hielt sie fest und drückte sie an sich, als hätte er Isabella schon verloren geglaubt. Ein Gefühl innigster Verbundenheit stieg in ihr hoch. »Woher wusstest du, wo wir sind?«
»Ich wusste es nicht«, antwortete er ihr, während er sich von ihr losmachte und den Strick wieder hinabließ zum Pater. »Aber du hattest mich zum Contarini-Haus bestellt. Als ich gesehen habe, dass es brennt, und mir ein paar Leute gesagt hatten, sie hätten eine junge Frau herauslaufen sehen, habe ich mich nach San Lorenzo aufgemacht. Ich wollte ins Kloster, um dich zu suchen. Ich wusste ja, wo der Schlüssel zur hinteren Pforte liegt, und als ich hier ankam, sah ich die ehrwürdige Mutter hier liegen und hörte das Kind im Brunnen schreien.«
Während der Erzählung stieg der Pater aus dem Brunnen, tropfnass und erschöpft. »Da unten ist nichts. Ich bin mir ziemlich sicher«, eröffnete er Isabella das Ergebnis seiner Suche.
Erst jetzt betrachtete Isabella die Szene um sie her. Suor Anna lag erschöpft auf den Marmorstufen des Brunnens, ihr Kind im Arm, die Augen geschlossen. Ihre Lippen zitterten. BeiderHaut schimmerte bläulich vor Kälte. Dicht daneben lag ein weiterer Körper, der Signora Artellas.
Isabella kniete sich neben die Priorin und berührte ihren Hals. Das Blut pulste noch, also war sie am Leben. »Wer war das?«, fragte sie tonlos. »Du, Marcello?«
Der schüttelte stumm den Kopf. »Nein, sie lag bereits dort, als ich hergekommen bin.«
Isabella versuchte das, was sie gehört hatte, mit dem kurzen Bericht Marcellos in Einklang zu bringen, doch etwas stimmte daran nicht. Hatte sie nicht das klatschende Geräusch von Schlägen gehört, als würden Fäuste aufeinanderprallen?
Die Priorin begann sich zu rühren. »Signora Artella, wacht auf!«, sagte Isabella. Die Nonne schlug die Augen auf und sah ihr erschrocken ins Gesicht.
»Was ... Wo kommt Ihr her? Ich habe doch ...«, stotterte sie. »Wisst Ihr, wer Euch niedergeschlagen hat?«, wiederholte der Pater Isabellas Frage von eben.
Signora Artella schüttelte den Kopf und verzog dabei vor Schmerzen den Mund. »So ... plötzlich ... so überraschend ...«, war alles, was sie sagen
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