Die Botschaft Der Novizin
Mahlzeit ging schweigend vor sich; nur von einem Pult aus las eine der Schwestern aus einer Heiligenlegende vor. Isabella hörte nicht zu. Sie war zu aufgewühlt. Dennoch vermied sie es, hastig zu essen, und versuchte ihre Unruhe vor den anderen zu verbergen. Außerdem fühlte sie sich von dem Mädchen ihr gegenüber belästigt. Was wollte die Novizin von ihr? Was sollte dieses Starren? Es beunruhigte sie, und Isabella glaubte beinahe, die junge Contarini könnte in ihren Gedanken lesen.
Nach dem Mittagessen würden sie eine Stunde Freizeit haben – eine Gelegenheit zu stillem Gebet, wie man ihr gesagt hatte. Padre Antonio sollte sie erst wieder nach der Non aufsuchen,also am Nachmittag, wenn dieser seine Besprechung mit den Provveditori und dem Patriarchen hinter sich hatte. Sie würde in ihre Zelle gehen; dort jedoch gedachte sie nicht allzu lange zu bleiben, sondern, sobald sich die Gelegenheit bot, durchs Haus zu schweifen und nach der Tür zu suchen, zu der ihr Schlüssel passte. Sie schob den letzten Bissen in den Mund, ihren leeren Teller von sich und faltete die Hände im Schoß. Kerzengerade setzte sie sich auf, bis die Erlaubnis erteilt wurde, sich zu rühren.
Dabei begegnete ihr Blick erneut dem des Mädchens. Es zeigte keinerlei Reaktion und ließ kein Mienenspiel erkennen. Isabella wusste nicht einmal, ob sie ihr Gegenüber wahrnahm. Doch dann senkten sich die Augen der Novizin. Bevor Isabella sich fragen konnte, was geschehen war, spürte sie eine leichte Berührung an der Schulter. Sie erschrak, hatte sich jedoch in der Gewalt. Langsam drehte sie sich um.
»Ihr seid es, Signora Artella.«
Die Priorin schien durch sie hindurchzublicken. Während sie redete, beobachtete Isabella aus dem Augenwinkel, wie der Patriarch und Padre Antonio kurz miteinander sprachen und sich mit kleinen Zeichen verständigten.
»Der bedauerliche Tod Suor Marias zwingt uns dazu, dir andere Aufgaben zu übertragen, bis wir wieder eine geeignete Mitschwester gefunden haben, die dich betreuen will. Du wirst vorerst mit Mutter Ablata den Chorraum fegen und wischen. Das ist umso nötiger, als wir hohen Besuch haben. Du beginnst deine Arbeit nach der Non. Schwester Ablata wird ein Auge auf dich haben.« Die Chornonne ließ die ganze Zeit über ihre Hand auf Isabellas Schulter ruhen, als wolle sie mit dieser Geste eine Nähe erzeugen. »Und Ihr, Julia Contarini, Ihr sucht Eure Zelle auf! Ich will Euch heute nicht mehr in den Klostergängen sehen!«
Isabella schluckte und beobachtete die Novizin, die die Ermahnung reglos vernommen hatte, nur kurz nickte, jedochunablässig mit ihrem goldenen Siegelring spielte, dessen drei schwarze Wappenstreifen glänzten.
»Ich bin nach der Non zu Padre Antonio gerufen!«, versuchte Isabella einzuwenden.
»Mach dir darüber keine Sorgen. Ich rede mit ihm!« Signora Artella war kurz angebunden. Mit energischen Schritten ging sie alsdann auf den Pater zu und nahm ihn beiseite, ohne darauf zu achten, dass er gerade mit dem Patriarchen sprach. Eine Trevisan, dachte Isabella, brauchte nicht zu warten. Und sie war sich sicher, dass der Patriarch auch keine Einwände vorbrachte, da Gerolamo Querine genau wusste, welchem Geschlecht Signora Artella entstammte.
Sie wartete das Ergebnis nicht ab. Das Essen war beendet, Mutter Immacolata hatte längst das Zeichen gegeben, sich zu erheben. Isabella lief nach draußen und steuerte ihre Zelle an. Erst auf dem Weg, als sie über die Änderung ihrer Aufgaben nachdachte, begriff sie, dass ihr ein Fehler unterlaufen war. Doch jetzt konnte sie nicht zurückkehren. Wenn Padre Antonio sich weigerte, Signora Artellas Wunsch zu folgen, dann musste diese ihr eine Mitteilung zukommen lassen, und zwar in ihrer Zelle. Da Isabella aber nicht vorhatte, dort zu warten, würde Signora Artella zwangsläufig Verdacht schöpfen, wenn sie auf eine leere Klause stieß.
Auf dem Weg in ihre Zelle grübelte Isabella darüber nach, wie sie diesem Dilemma begegnen sollte, und verwünschte ihr voreiliges Handeln. Sie betrat ihren Raum, setzte sich auf die Pritsche und stützte den Kopf in ihre Hände. Sollte sie tatsächlich die Zeit bis zur Non hier verbringen und die Wände anstarren? Der Schlüssel in ihrer Innentasche drückte ihr gegen den Bauch. Sie nahm ihn heraus und betrachtete ihn eingehend.
Der Schlüssel war aus Messing gegossen, hatte jedoch seine Goldfarbe längst eingebüßt. Alt war er und von der Zeit nachgedunkelt. Die Form des Bartes mit seiner doppelten
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