Die Botschaft Der Novizin
davongelaufen bist und wohin!«, versuchte Signora Artella ihre Bedenken zu zerstreuen.
Signora Artella führte sie in das geräumige Zimmer, in dem der Nuntius auf sie wartete. Es lag nahe der Kirche. Man konnte vom Fenster aus auf den Klostergarten hinuntersehen, in dem die ersten Bäume bereits in Blüte standen.
Der Nuntius lehnte mit beiden Armen am Fenster und blickte nach draußen. Die Sonne fiel schräg von oben ein, sodass der Raum im Schatten der Dachtraufe lag. Die Läden hatte der Nuntius geöffnet und damit frische Luft in die ansonsten stickigen Räumlichkeiten gelassen.
Für einen päpstlichen Botschafter erschien ihr der Mann sehr jung. Sie schätzte ihn auf Ende zwanzig. Sein Körper wirkte drahtig und gespannt, als wäre er von einer Feder aufgezogen und wollte gleich losschnellen. Er war zweifellos auf demSprung – wie eine Katze. Dennoch strahlte er zugleich eine innere Ruhe aus. Isabella fasste sofort Zutrauen zu diesem Mann und gemahnte sich gleichzeitig, vorsichtig zu sein. Katzen konnten Krallen zeigen.
»Die Educanda Isabella Marosini«, kündigte Signora Artella sie an. »Wie Ihr gewünscht habt, Padre Antonio.«
Der Nuntius drehte sich nicht um. »Lasst uns allein, Suor Artella. Danke.«
Signora Artella bebte. Isabella ahnte, dass es ein Frevel war, eine junge Educanda mit einem ebenso jungen Pater allein im Raum zu lassen. Da sie zögerte, sah sich der Pater gezwungen, seine Taktik zu ändern. Abrupt drehte er sich zu den beiden Frauen um und maß Signora Artella mit einem abschätzigen Blick.
»Ich werde Eurem Schützling nicht zu nahe treten«, verkündete er spöttisch. »Seid unbesorgt. Ihr dürft draußen warten. Ich schätze es jedoch nicht, wenn an den Türen gelauscht wird. Lasst sie also offen stehen und begebt Euch so weit von ihr weg, dass wir beide uns in Ruhe unterhalten können.« Mit diesen Worten zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich darauf. Isabella musste weiter stehen.
Isabella bemerkte, wie es in der Mutter Priorin arbeitete. Eine derartige Behandlung hatte die ehrwürdige Mutter sicher seit Jahren nicht mehr erfahren, wenn überhaupt jemals zuvor. »Ich lasse Euch allein«, zischte sie, »doch nicht lange.« »Natürlich nicht«, konterte der Nuntius, »nur so lange ich für meine Befragung brauche. Im Namen des Herrn – lasst uns jetzt beginnen! Bitte!« Dabei lächelte Padre Antonio verbindlich und spitzte die Lippen.
Isabella hätte beinahe zu lachen begonnen, schwieg jedoch verlegen, weil ihr der Pater gleichzeitig zugezwinkert hatte.
Mit wehendem Habit rauschte Signora Artella zur Tür hinaus und den Gang entlang, an dessen hinterem Ende das Zimmer des päpstlichen Nuntius gelegen hatte. Erst als sie außer Hörweite war, wandte sich der Geistliche Isabella zu.
Zuerst besah er sie sich lange, dann stand er auf und umrundete sie. Dabei sagte er kein Wort. Sie kam sich vor wie auf der wöchentlichen Geflügelschau auf der Giudecca. Doch nicht als Käufer, sondern als Huhn. Isabella versuchte nicht als Mädchen zu wirken, sondern als selbstbewusste Frau. So eben, wie sie sich selbst sehen wollte.
»Welcher Umstand verschlägt eine junge Frau wie Euch in dieses Kloster?«, begann der Priester endlich. »Ihr solltet heiraten und einen Mann glücklich machen, statt Euch hier vor der Welt zu verbergen.«
Isabella schloss die Augen. Wenn sie jetzt nicht den Mund öffnete und ihr Leid klagte, würde sie für immer hinter diesen Mauern eingepfercht bleiben. Sie spürte, wie der Pater ihr Los bedauerte, statt sich über eine Nonne mehr unter den Rockschößen der Mutter Kirche zu freuen.
»Ich ... «, begann sie zögerlich, um dann doch nur einen banalen Satz von sich zu geben. »Meine Tante wollte, dass ich ihr zur Seite stehe.«
Der Priester hob nur kurz den Kopf und nickte bedächtig. »Eure Tante ist ebenfalls in diesem Kloster? War sie das eben?« Isabella schüttelte energisch den Kopf. »Das war Signora ... äh, Suor Artella.«
Sie biss sich auf die Lippe, weil die Bezeichnung ein Fehler war.
»Ihr nennt sie ›Signora‹? Warum das?« Padre Antonio sprach langsam. Die lichte Freundlichkeit des Raumes, der sonnige Tag vor dem Fenster und seine ruhige Art ließen Isabellas Unruhe langsam schwinden. Der Mann vor ihr wollte nichts Böses von ihr. Er war neugierig. Natürlich. Wer das Leben im Kloster nicht kannte, musste Fragen stellen. Er war freundlich und lächelte. Seine Stimme klang angenehm. Gern hätte sie ihm den ganzen Tag
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