Die Botschaft Der Novizin
Julia sich an deren Kutte festhielt. »Eine solche Eile geziemt sich nicht.« Isabella kämpfte noch um ihre Fassung. Erst langsam beruhigte sich ihr Atem.
»Ich muss mich entschuldigen«, flüsterte das Mädchen beinahe, und es war das erste Mal, dass Isabella es lächeln sah.
Die Glocke zur Non schlug erneut und rief den Konvent zum Gebet. Erst jetzt fiel Isabella auf, was sie an dieser Begegnung störte. »Ihr ...«, begann Isabella. Sie musste jedoch zuerst ihre Gedanken sammeln, bevor sie sagen konnte, was ihr merkwürdig vorkam. »Ihr lauft in die falsche Richtung, Julia. Zum Nonnenchor geht es hier entlang.« Sie deutete in die Richtung, die sie selbst eben gegangen war.
»Ich wollte zu Euch, Isabella!«, gestand das Mädchen, das sich wie selbstverständlich unterhakte und sie jetzt zur Versammlung begleitete.
»Trotz des Verbots der Signora?«
»Die alte Schachtel hat mir nichts zu verbieten, nicht einer Contarini!«, fuhr die Novizin auf und warf dabei den Kopf in den Nacken, um gleich darauf in einem gemäßigten Tonfall fortzufahren. »Helft mir, aus diesem Gefängnis zu entfliehen. Ich muss heraus aus diesen Mauern, hinaus in die Stadt und hinüber aufs Festland.«
Isabella blieb stehen. »Was hindert Euch daran, einfach zu gehen?«
Die Contarini verdrehte die Augen. »Habt Ihr noch immer nichts begriffen?«
»Was soll ich begreifen?«, hakte Isabella nach, die natürlich verstand, was das Mädchen sagen wollte. Schließlich ging es ihr nicht viel anders.
Den ganzen Weg bis zum Chor setzte ihr die Novizin auseinander, dass bereits das Verlassen des Konventgebäudes ein Problem darstellte. Keines der Fenster, die nach außen gingen, lag im Erdgeschoss. Erst im zweiten Stock gab es Lichtöffnungen, doch die waren mit schweren Eisengittern gesichert. Die Fensteröffnungen der unteren Stockwerke zeigten auf die beiden Innenhöfe hinaus. Erst im zweiten oder gar dritten Stock gab es vereinzelt Fenster nach draußen. Wer aus ihnen hinausklettern wolle, brach sich mit untrüglicher Sicherheit den Hals. »Eine Möglichkeit, die ich mir für zuletzt offengelassenhabe«, zischte die Novizin. Drei Türen gebe es, die nach draußen führten, erklärte sie daraufhin. Die erste sei die Klosterpforte, die allerdings werde bewacht. Die zweite Tür liege im Aufsichtsbereich der Cellerarin – und die bewache die Tür schärfer als der Höllenhund Cerberus. Die Mutter Cellerarin sei im übrigen ein Weib mit mehr als drei Köpfen und mache in ihrer knurrigen Art dem Höllentier durchaus Konkurrenz. Die dritte Tür liege im Garten bei der Kirche. Dort könne nur hinaus, wer entweder schwimmen könne oder eine Gondel bestellt habe. Da sie weder über die nötigen Kletter-noch über ausreichend Schwimmkünste verfüge, schloss die Contarini -T ochter, müsse sie es anderweitig versuchen.
»Ich weiß wirklich nicht, wie ich Euch dabei behilflich sein könnte«, seufzte Isabella.
Abrupt blieb die Novizin stehen, und Isabella wurde durch ihren untergehakten Arm gewaltsam herumgedreht. Ganz dicht standen sich die beiden Frauen gegenüber. »Ihr wisst es sehr wohl.«
Überrascht trat Isabella einen Schritt zurück, doch die Novizin ließ nicht los. Verärgert riss sie ihren Arm frei. »Wie meint Ihr das? Was wollt Ihr eigentlich?«
Die Contarini verzog unwillig den Mund, dann schritt das Mädchen stumm an ihr vorbei und verschwand um die Ecke.
Jetzt hatte Isabella das Nachsehen und musste sich beeilen. Doch sie waren bereits auf den Gang zum Nonnenchor eingebogen. Sie ließen einen alten dunklen Schrank rechts von sich liegen, bogen wieder um die Ecke und gelangten in den Stichgang zum Nonnenchor. Julia Contarini lief gerade so schnell, dass Isabella sie nicht einholen konnte, ohne erneut eine ungebührliche Eile an den Tag zu legen. Erst vor dem Eingang schloss sie zu der Novizin auf, konnte jedoch kein Wort mehr an sie richten.
Unter den misstrauischen Augen Signora Artellas huschten sie
ins Innere, und Isabella versuchte zu erraten, wo ihr Platz seinkönnte. Sie wartete ab, bis alle Frauen standen, dann zwängte sie sich selbst in die eine größere Lücke in der vierten Reihe. Julia Contarini drängte sich neben sie.
Doch fürs Erste nahm Isabella die Novizin nicht wahr. Die Umgebung überwältigte sie. Sie war das erste Mal hier im Nonnenchor. Der Chor stieg links und recht auf zwei Ebenen an, wie sie es von den Hörsälen in Bologna gehört hatte. Auf einer Stirnseite konnte man von oben in das Hauptschiff
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