Die Botschaft des Feuers
gebracht hatte. Aber anstatt seine Feinde zu besänftigen, pflegte Richard einen extravaganten, exzentrischen Lebensstil. Er trug bestickte Jacketts aus purpurfarbenem Satin, ein Schwert, das bis zum Boden reichte, Hüte mit schweren Straußenfedern und Schuhe mit roten Absätzen. Die Presse nannte ihn einen Gecken und verglich ihn mit seinem zahmen Affen, den einige boshafterweise als sein leibliches Kind bezeichneten.
Nur wenige wissen jedoch, dass Richard ein großer Virtuose war, einer, der den Geschmack der Menschen beeinflusste, ein Kenner und Sammler von seltenen und wertvollen Antiquitäten. Er besaß nicht nur berühmte Gobelins, sondern auch so viele Raritäten, dass sie sechsundzwanzig Räume füllten: darunter eine ägyptische Mumie, Reliquien von Heiligen,
chinesische Elfenbeinschnitzereien, seltene esoterische Schriften aus Arabien und Indien und sogar eine Schwanzfeder, von der er glaubte, dass sie vom Phönix stammte.
Richard hatte mystische Neigungen und war ein Anhänger früher Visionäre wie Emanuel Swedenborg. Zusammen mit meinem Bruder George, der damals Architektur studierte, hatten wir in London die privaten Vorträge von Thomas Taylor, dem ›Platoniker‹, gehört, der kurz zuvor im Auftrag von Ralph Waldo Emerson und William Blake, die solche Themen mit lebhaftem Interesse verfolgten, geheime Lehren der frühesten griechischen Esoteriker übersetzt hatte.
Dieser Hintergrund ist sehr wichtig. Denn offenbar hatte mein Mann ohne mein Wissen durch den Herzog von Orléans von einem großen Geheimnis erfahren, das seit fast tausend Jahren in Frankreich verborgen gewesen war, ein Geheimnis, das nicht lange nach jenem Morgen vor dreißig Jahren, als wir in Frankreich eintrafen, wieder ans Tageslicht gelangen sollte.
Ich erinnere mich noch genau an den Tag. Es war Sonntag, der dritte September 1786, ein goldener Morgen, an dem Richard und ich zur Halle au Blé, dem berühmten Pariser Getreidemarkt, gingen, einer riesigen Markthalle, wo Weizen, Roggen, Hafer, Gerste und Hülsenfrüchte aller Art verkauft wurden. Die Halle ist inzwischen abgebrannt, galt aber damals mit ihren geschwungenen Treppen und der hohen Kuppel, durch deren Fenster das Tageslicht hereinfiel und alles überstrahlte wie in einem durch die Luft segelnden Märchenpalast, als eins der schönsten Gebäude von Paris.
Und dort, in dem zauberhaften silbrig schimmernden Licht, begegneten wir dem Mann, der schon bald unser ganzes Leben verändern sollte. Damals jedoch ahnte ich noch nichts davon.
Der amerikanische Maler John Trumbull war in Begleitung seines Freundes eingetroffen, eines großen, blassen Mannes mit kupferrotem Haar, in dessen Haus auf den Champs-Elysées Trumbull wohnte. Schon bald erfuhren wir, dass Trumbulls Gastgeber der Gesandte der neuen Amerikanischen Republik am französischen Hof war, ein Staatsmann, dessen Berühmtheit die unsere bald in den Schatten stellen sollte. Sein Name war Thomas Jefferson.
Mr Jefferson war völlig fasziniert von der Halle au Blé, er schwärmte ohne Unterlass von der Schönheit ihrer Bauweise und war ganz begeistert, als John Trumbull die architektonischen Werke meines Bruders George erwähnte, eines Stipendiaten an der Royal Academy in London.
Mr Jefferson bestand darauf, uns den ganzen Tag über zu begleiten. Von Paris aus fuhren wir an jenem Tag aufs Land nach St. Cloud, wo wir zu Abend aßen. Dann verwarfen wir unsere Pläne für den Abend und gingen stattdessen zum Montmartre, in den Garten der Ruggieri, der Familie von Pyrotechnikern, die verschwenderische Feuerwerke veranstalteten. An jenem Abend wurde »Der Triumph des Vulcanus« gegeben, ein Stück über die bedeutsame Figur der Unterwelt, die die Griechen Hephaistos nannten, den Gott des Feuers und der Schmiedekunst.
Anscheinend hat diese dramatische Darstellung der Unterwelt meinen Mann dazu bewogen, Mr Jefferson gegenüber so offen über die großen ägyptischen Bauwerken nachempfundenen Pyramiden und Feuertempel zu sprechen, die in den Lustgärten außerhalb von Paris erbaut worden waren - zum Beispiel im Parc Monceau, dem berühmten Park unseres französischen Gönners, des Herzogs von Orléans. Richard und den Herzog verband ein tiefes Interesse an allem Geheimnisvollen.
Und ebenso wie Jefferson der Nachfolger von Benjamin Franklin als Botschafter in Frankreich war, so war der Herzog von Orléans der Nachfolger von Franklin als Großmeister der Pariser Freimaurerloge. Deren geheime Initiationsriten fanden häufig
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