Die Botschaft des Feuers
behutsam ab, als könnte er die Vergangenheit verletzen. Er sah mich an.
Ich stand immer noch unter Schock.
»Gott, wie schrecklich muss das sein«, sagte ich, »im glücklichsten Augenblick des Lebens zu erkennen, dass man die Formel für eine Tragödie geschaffen hat. Und für diesen Fehler büßt er jetzt schon eine halbe Ewigkeit.«
»Mireille hat natürlich aus demselben Grund von dem Elixier getrunken«, bemerkte Wartan. »Das hat Lily uns schon in Colorado gesagt - dass Minnie in ihrem letzten Brief an deine Mutter geschrieben hatte, der Trank hätte nur Elend und Leid gebracht. Deine Mutter sprach von einer Besessenheit, die das Leben aller ruiniert hat, die Minnie gekannt haben oder mit denen sie in Berührung gekommen ist. Aber vor allem hat sie ihren eigenen Sohn von Kindheit an dreißig Jahre lang dazu angetrieben, die falsche Formel zu entschlüsseln.«
Ich schüttelte den Kopf und umarmte Wartan. »Ich an deiner Stelle wäre sehr vorsichtig«, sagte ich. »Möglicherweise lässt du dich hier mit der falschen Braut ein - schließlich habe ich ja auch mit all diesen Besessenen zu tun. Vielleicht wird diese Zwanghaftigkeit ja vererbt.«
»Und unsere Kinder wären auch davon befallen?«, erwiderte Wartan grinsend. »Dann schlage ich vor, je eher wir das ausprobieren, desto besser.« Er strich mir übers Haar.
Ein paar Minuten später räumte er die Spaghettiteller ab und trug unsere Gläser in die Küche. Nachdem wir gemeinsam
gespült hatten, schenkte er mir sein schönstes Lächeln. » Jais Karni, Waisi Bharni «, sagte er. »Das muss ich mir merken - ›Die Ergebnisse sind die Früchte unserer Handlungen‹.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Es ist schon fast Mitternacht. Wenn wir der Karte deiner Mutter folgen wollen, sollten wir bei Tagesanbruch aufbrechen. Das heißt, uns bleiben noch sechs Stunden. Wie viele Samen genau, denkst du, können wir heute Nacht noch säen, bevor wir aufstehen und mit der Ernte anfangen?«
»Eine ganze Menge«, antwortete ich. »Soweit ich mich erinnere, macht der Ort, zu dem wir gehen, sowieso erst um zwei Uhr nachmittags auf.«
Das Buch der Balance
Auf unserer Suche nach dem perfekten Entscheidungsfindungs-
prozess sind wir häufig auf gegensätzliche Paare gestoßen, die
harmonisch zusammenarbeiten: Berechnung und Schätzung;
Geduld und Opportunismus; Intuition und Analyse; individueller
Stil und Objektivität. Auf der nächsten Ebene finden wir Manage-
ment und Vision, Strategie und Taktik, Planung und Reaktion.
Statt ein Element gegen das andere einzusetzen, müssen wir ein
Gleichgewicht finden, in dem sie gemeinsam in eine Richtung
arbeiten.
GARRI KASPAROW, Strategie und die Kunst zu leben
Als erfahrene Schachspieler nutzten Wartan und ich die uns zur Verfügung stehende Zeit in jeder Hinsicht optimal. Von den vierzehn Stunden, die uns bis zu unserer Begegnung mit dem Schicksal blieben, verbrachten wir sieben »fruchtbar«, wie Rodo es uns empfohlen hatte, und in Konkurrenz gingen wir höchstens bei der Frage, wer dem anderen mehr Vergnügen bereiten konnte.
Als ich irgendwann wach wurde, war es schon weit nach Tagesanbruch, und Wartans Lockenkopf lag auf meiner Brust. Ich spürte noch immer die Wärme seiner Hände und die Zärtlichkeit seiner Lippen auf meiner Haut. Als ich ihn schließlich aufweckte, hatten wir genauso wenig Lust, uns dem Tag zu stellen, wie Romeo und Julia nach ihrer ersten
gemeinsamen Nacht. Er stöhnte, küsste mich auf den Bauch und rollte sich dann nach mir aus dem Bett.
Nachdem wir geduscht, uns angezogen, ein paar Cornflakes mit Joghurt gegessen und dazu einen Kaffee getrunken hatten, nahm ich die wertvolle Zeichnung meiner Mutter mit den Schachkoordinaten, steckte sie in einen leeren Rucksack, der an der Garderobe hing, und ging zusammen mit Wartan die Treppe hinunter.
Offensichtlich hatte meine Mutter mit ihrer Aufforderung, wir könnten uns wegen »weiterer Anweisungen« an sie wenden, nicht so etwas Heikles gemeint wie das, was sie mir sorgsam verborgen hatte zukommen lassen. In Bezug auf die schwarze Dame und die Anzahl der Leute, die immer noch hinter ihr und den anderen Figuren herjagten, war klar, dass wir ganz auf uns allein gestellt waren.
»Du hast gesagt, du kennst diesen Ort«, sagte Wartan. »Wie kommen wir denn dahin?«
»Zu Fuß«, erwiderte ich. »Seltsamerweise ist es gar nicht weit weg.«
»Aber wie kann das sein?«, wandte er ein. »Du hast doch gesagt, es wäre
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