Die Bourne-Identität
wenigen überwacht, deren Identität unbekannt war.
Er erreichte die oberste Stufe und klingelte, drückte eine ganz gewöhnliche Klingel; die Tür allerdings war nicht so ganz gewöhnlich, das konnte der Major sehen. Das massive Holz war mit einer Stahlplatte vernietet, und die schmiedeeiserne Dekoration diente in Wirklichkeit dazu, die Nieten zu verbergen, während der große Bronzeknopf eine Platte tarnte, die dafür sorgte, daß eine Reihe stählerner Bolzen durch Berührung einer menschlichen Hand in stählerne Fassungen schossen, wenn Alarm ausgelöst wurde. Webb blickte zum Fenster empor. Er wußte, daß jede Glasscheibe einen Zoll dick war und so selbst direktem Beschuß mit .30-Kaliber Widerstand leisten konnte. Treadstone Seventy-One war eine Festung.
Die Tür öffnete sich, und der Major lächelte unwillkürlich, als er die Gestalt sah, die hier so völlig unpassend wirkte. Eine pagenhaft schlanke, elegant aussehende, grauhaarige Frau mit weichen, aristokratischen Zügen und einer Haltung, die auf alten Geldadel schließen ließ. Ihre Stimme entsprach dem ersten Eindruck; sie sprach jenes elegante >mid-Atlantic<, ein Amerikanisch, das eher in Boston als New York zu Hause war und selbst in den besten Kreisen Londons akzeptiert wurde. Diese Art zu sprechen wurde auf vornehmen Colleges und bei Polospielen gepflegt.
»Wie schön, daß Sie gekommen sind, Major. Jeremy hat Sie schon angemeldet. Kommen Sie doch bitte herein. Es ist wirklich eine Freude, Sie wiederzusehen.«
»Ganz meinerseits«, erwiderte Webb und trat in das geschmackvoll ausgestattete Foyer. Er beendete den Satz erst, als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. »Aber ich bin nicht sicher, wo wir uns schon einmal begegnet sind.«
Die Frau lachte. »Oh, wir haben manchmal miteinander zu Abend gegessen.«
»Mit Jeremy?«
»Natürlich.«
»Wer ist Jeremy?«
»Ein sehr ergebener Neffe, der auch ein guter Freund von Ihnen ist. Wirklich ein reizender junger Mann; wie schade, daß es ihn nicht gibt.« Sie griff nach seinem Ellbogen, als sie den langen Korridor hinuntergingen. »Das ist alles nur wegen der Nachbarn, die vielleicht zuhören könnten. Kommen Sie jetzt bitte, man wartet.«
Sie gingen an einem Bogen vorbei, der in ein großes Wohnzimmer führte; der Major blickte hinein. Am Fenster stand ein Flügel und daneben eine Harfe, und überall - auf dem Flügel und auf polierten Tischen, die sich im gedämpften Licht spiegelten - standen silbergerahmte Fotografien, Erinnerungen an eine Vergangenheit, die mit Wohlstand und Eleganz verbunden war. Segelboote, Männer und Frauen auf den Decks von Ozeandampfern, einige Militärporträts. Und tatsächlich zwei Schnappschüsse von einem Polospieler im Sattel. Es war ein Raum, wie er in ein geschmackvolles Backsteingebäude an dieser Straße paßte.
Sie erreichten das Ende des Korridors; es gab dort eine mächtige Mahagonitür mit Halbreliefschnitzereien und schmiedeeisernen Dekorationsteilen, die ebenfalls wieder ihrem Schutz dienten. Wenn es hier irgendwo eine Infrarotkamera gab, konnte Webb das Objektiv nicht entdecken. Die grauhaarige Frau drückte einen unsichtbaren Klingelknopf, und der Major konnte ein leises Summen hören.
»Ihr Freund ist hier, Gentlemen. Hören Sie auf, Poker zu spielen und machen Sie sich an die Arbeit. Reißen Sie sich zusammen, Jesuit.«
»Jesuit?« fragte Webb verblufft.
»Ein alter Witz«, erwiderte die Frau. »Er reicht in die Zeit zurück, in der Sie wahrscheinlich mit Murmeln spielten und kleine Mädchen anfauchten.«
Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf die alte, aber immer noch kerzengerade Gestalt von David Abbott frei. »Freut mich, Sie zu sehen, Major«, sagte der ehemalige stumme >Mönch< der Geheimdienste und streckte ihm die Hand hin.
»Freut mich, hier zu sein, Sir.« Webb schüttelte ihm die Hand. Ein weiterer älterer, imposant wirkender Mann trat neben Abbott.
»Ein Freund von Jeremy, ohne Zweifel«, sagte der Mann mit einem Lächeln in der Stimme. »Tut mir schrecklich leid, daß die Zeit keine richtige Vorstellung zuläßt, junger Freund. Kommen Sie, Margaret. Oben brennt ein wärmendes Feuer im Kamin.« Er wandte sich Abbott zu. »Sie sagen mir doch Bescheid, wenn Sie gehen, David?«
»Um meine übliche Zeit, vermute ich«, erwiderte der >Mönch<. »Ich werde diesen beiden zeigen, wie man Ihnen klingelt.«
Erst jetzt merkte Webb, daß noch ein dritter Mann im Raum war; er stand am anderen Ende im Schatten, der Major erkannte
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