Die Bourne-Identität
ihr den Umschlag hin.
»Ja, vielen Dank.«
Die Frau drehte sich um und riß das Couvert auf, während der Angestellte auf Bourne zuging. »Bitte, Sir?«
»Ich möchte das für Herrn Stössel hinterlegen.« Er legte den Umschlag mit dem Geld und der Notiz auf den Tresen.
»Herr Stössel wird erst morgen früh um sechs Uhr zurückkommen, Sir. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Nein, danke. Sorgen Sie nur dafür, daß er es bekommt. Es ist nichts Dringendes«, fügte er hinzu, »aber ich benötige Antwort. Ich werde mich morgen telefonisch an ihn wenden.«
»Selbstverständlich, Sir.«
Bourne griff nach seinem Koffer und trat durch eine breite Glastür, die zu einer kreisförmigen Auffahrt führte. Unter den Tiefstrahlern des Vordaches warteten einige Taxis. Die Sonne war untergegangen; es war Nacht in Zürich.
Er blieb stehen und hielt den Atem an. Eine Art Lähmung hatte ihn befallen. Seine Augen wollten nicht wahrhaben, was er draußen sah. Ein brauner Peugeot hielt vor dem ersten Taxi an. Die Beifahrertür öffnete sich, und ein Mann entstieg dem Wagen - ein Killer in einem schwarzen Regenmantel mit einer dünnen, goldgeränderten Brille. Kurz darauf stieg eine weitere Gestalt aus dem Auto; aber das war nicht der Fahrer, der an der Bahnhofstraße gestanden und ihn nicht erkannt hatte. Statt dessen war es ein anderer Killer mit einem anderen Regenmantel, in dessen weiten Taschen man Waffen gut verbergen konnte. Es war derselbe Kerl, der in der Empfangshalle im ersten Stock der Gemeinschaftsbank gesessen hatte und eine Pistole mit Schalldämpfer gezogen hatte.
Wie hatten sie ihn gefunden? ... Dann erinnerte er sich, und ihm wurde übel. Eine beiläufige Bemerkung von ihm hatte ihnen den Hinweis auf sein Hotel geliefert.
»Haben Sie einen angenehmen Aufenthalt in Zürich?« hatte Walther Apfel gefragt, während sie darauf warteten, daß sie wieder alleine im Zimmer waren.
»Ja, sehr. Ich habe ein Zimmer mit Blick auf den See. Die Aussicht ist wunderschön. Das Hotel liegt sehr ruhig.«
Koenig! Koenig war dabei, wie er das sagte. Die Hotels am See, zumal die, die von Leuten mit Drei-Null-Konten frequentiert wurden, waren schnell genannt und abzuzählen. >Carillon du Lac<, >Baur au Lac<, >Eden au Lac<. Ihre Namen fielen ihm rasch ein. Doch woher kannte er sie? Wie leicht war es also für seine Verfolger gewesen, ihn aufzustöbern!
Zu spät! Der zweite Mann hatte ihn nach einem suchenden Blick durch die Glastür entdeckt. Worte wurden über die Motorhaube des Peugeot gewechselt, Hände tauchten in übergroße Tasche, griffen nach unsichtbaren Waffen. Die beiden Männer strebten auf den Eingang zu, trennten sich im letzten Augenblick und postierten sich links und rechts vom Eingang. Die Flanken waren gesichert, er saß in der Falle.
Glaubten sie, sie konnten in eine überfüllte Hotelhalle eindringen und einfach einen Menschen töten?
Natürlich! Die vielen Menschen und der Lärm waren ihr Schutz.
Zwei, drei gedämpfte Schüsse, aus kurzer Distanz abgefeuert, würden ebenso wirksam sein wie ein Überfall auf einem überfüllten öffentlichen Platz bei hellichtem Tag; und in dem anschließenden Chaos würde die Flucht spielend leicht gelingen.
Empörung mischte sich in seine Gedanken. Wie konnten sie es wagen? Was brachte sie auf die Idee, daß er nicht davonrennen, Schutz suchen, nach der Polizei schreien würde? Und dann war die Antwort ebenso klar und niederschmetternd. Die Killer wußten mit Sicherheit den Grund, der ihn davon abhielt. Er konnte nicht zur Polizei gehen. Jason Bourne mußte sämtliche Behörden meiden ... Warum? Suchten sie ihn?
Herrgott, warum?
Die beiden gegenüberliegenden Türen wurden von zwei ausgestreckten Händen aufgestoßen, die anderen blieben verborgen, umklammerten Waffen. Bourne drehte sich um; da waren Aufzüge, Gänge, Korridore. Es mußte ein Dutzend Wege geben, die aus dem Hotel herausführten.
Aber womöglich kannten die Killer, die sich jetzt durch die Menge drängten, die örtlichen Verhältnisse besser als er. Vielleicht hatte das >Carillon du Lac< nur zwei oder drei Ausgänge, die leicht von draußen bewacht werden konnten.
Ein einzelner Mann war ein auffälliges Ziel. Aber wenn er nicht allein wäre? Wenn jemand bei ihm wäre, der ihm als Deckung und Tarnung zugleich dienen konnte? Entschlossene Killer vermieden es, die falsche Person zu töten, nicht aus Mitgefühl, sondern weil die Gefahr bestand, daß das eigentliche Opfer entkam, wenn nach den tödlichen
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