Die Bourne-Identität
paßte nicht zu ihrem Verhalten vorher. Er begriff. Jetzt mußte eine Lektion erteilt werden. Unabhängig von dem, was im >Drei Alpenhäuser< geschehen würde, brauchte er sie noch ein letztes Mal. Sie mußte ihn aus Zürich hinausfahren.
Der Wagen kam zum Stillstand, die Reifen rieben sich am Randstein. Sie schaltete den Motor ab und begann die Schlüssel aus dem Zündschloß zu ziehen. Ihre Bewegungen waren langsan, zu langsam. Er griff hinüber und hielt ihr Handgelenk, sie starrte ihn an, ohne zu atmen. Er schob die Finger über ihre Hand, bis er das Schlüsseletui spürte.
»Die nehme ich«, sagte er,
»Natürlich«, erwiderte sie.
»Jetzt steigen Sie aus und stellen sich neben die Motorhaube«, fuhr er fort. »Machen Sie keine Dummheiten!«
»Warum sollte ich? Sie würden mich töten.«
»Gut.« Betont ungeschickt bemühte er sich, seine Tür zu öffnen, wobei er ihr den Hinterkopf zuwandte.
Das Rascheln von Stoff kam plötzlich und noch plötzlicher der Luftzug; ihre Tür flog auf, die Frau stieß sich vom Sitz ab und schwang ihre Beine nach draußen. Aber Bourne war bereit. Er fuhr herum. Sein linker Arm war wie eine gespannte Feder, die plötzlich freigegeben wird, seine Hand wie eine Klaue. Die Finger krallten sich in den Seidenstoff ihres Kleides zwischen den Schulterblättern und zerrten sie auf den Sitz zurück. Im nächsten Moment packte er sie am Haar und zog ihr den Kopf nach hinten, bis ihr Hals gespannt war.
»Ich tue es nicht wieder!« rief sie. Tränen traten ihr in die Augen. »Ich schwöre es!«
Er beugte sich über sie hinweg und zog die Türe zu. Dann musterte er sie scharf und versuchte, etwas in sich selbst zu verstehen. Vor dreißig Minuten hatte er in einem anderen Wagen so etwas wie Übelkeit empfunden, als er den Lauf seiner Pistole gegen ihre Wange gepreßt und gedroht hatte, sie zu erschießen, wenn sie seine Anweisungen nicht befolgen würde. Diesmal empfand er diesen Ekel nicht mehr. Sie war zum Feind geworden, eine Bedrohung für ihn. Er konnte sie umbringen, wenn er mußte, sie ohne Gefühl töten, weil es praktisch war.
»Sagen Sie etwas!« flüsterte er.
Ihr Körper spannte sich plötzlich krampfhaft, ihre Brüste drückten gegen den dunklen Seidenstoff, hoben und senkten sich. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme monoton. »Ich habe gesagt, daß ich es nicht mehr tun werde, und ich werde mein Wort halten.«
»Sie werden es wieder probieren,« erwiderte er leise. »Es wird der Augenblick kommen, wo Sie glauben, Sie könnten es schaffen, und dann werden Sie es riskieren. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß Sie es nicht schaffen. Beim nächsten Mal werde ich Sie töten müssen. Das will ich nicht.
Es gibt keinen Anlaß dafür. Es sei denn, Sie werden mir gefährlich. Und wenn Sie wegrennen, bevor ich sie gehen lasse, ist das äußerst bedrohlich für mich. Deshalb kann ich so etwas nicht dulden.«
Er hatte die Wahrheit gesprochen, so wie er die Wahrheit begriff. Die Einfachheit seiner Entscheidung erstaunte ihn ebenso wie die Entscheidung selbst. Töten war eine praktische Sache, sonst nichts.
»Sie sagten, Sie werden mich freilassen«, sagte sie. »Wann?«
»Sobald ich in Sicherheit bin«, antwortete er. »Wenn das, was Sie sagen oder tun, mir nichts mehr anhaben kann.«
»Und wann wird das sein?«
»Etwa in einer Stunde. Wenn wir Zürich verlassen haben und ich nach anderswo unterwegs bin.«
»Warum sollte ich Ihnen glauben?«
»Es ist mir gleichgültig, ob Sie mir vertrauen oder nicht.« Er ließ sie los. »Reißen Sie sich zusammen. Trocknen Sie sich die Augen, und kämmen Sie sich das Haar. Wir gehen jetzt ins Lokal.«
»Was ist dort drinnen?«
»Ich wollte, ich wüßte das«, sagte er und blickte durch das hintere Fenster auf den Eingang des Restaurants.
»Das haben Sie schon einmal gesagt.«
Er sah ihre großen braunen Augen, die ihn voll Angst und Verwirrung anblickten. »Ich weiß. Beeilen Sie sich.«
Dicke Balken führten unter der Decke entlang. Überall waren Tische und Stühle aus schwerem Holz, tiefe Nischen, und Kerzen verbreiteten gedämpftes Licht. Ein Akkordeonspieler schlenderte durch das Lokal und entlockte seinem Instrument alpenländische Volksweisen.
Er hatte den großen Saal schon einmal gesehen, die Balken und das Kerzenlicht waren irgendwo in sein Bewußtsein eingeprägt, ebenso wie die Geräusche. Er war in einem anderen Leben schon einmal hier gewesen. Sie standen in dem engen Foyer vor dem Pult des Saalkellners.
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