Die Bourne-Identität
gestern nacht in Washington angerufen. Corbelier hat gerade gesagt, wir alle tauschen Gefälligkeiten aus: Für eine Information revanchiert man sich durch eine andere.«
»Das klingt aber verdächtig nach Verrat.«
»Im Gegenteil: Wir beschäftigen uns mit Geld, nicht mit Raketen. Mit Geld, das durch illegale Kanäle fließt, unter Ausschaltung von Gesetzen, die unser aller Interessen dienen. Es sei denn, du willst, daß die Scheichs aus Arabien plötzlich Eigentümer von Grumman Aircraft sind. Dann sprechen wir von Raketen ... nachdem sie abgeschossen worden sind.«
»Ich ziehe meine Kritik zurück.«
»Wir müssen d'Amacourts Mann gleich morgen früh aufsuchen. Überleg dir, wieviel du abheben willst.«
»Alles.«
»Alles?«
»Richtig. Wenn du Vorstandsmitglied von Treadstone wärest, was würdest du tun, wenn du erfahren hättest, daß sechs Millionen Franc auf einem Firmenkonto fehlen?«
»Ich verstehe.«
»D'Amacourt hat eine Reihe von Barschecks vorgeschlagen, die auf den Überbringer ausgestellt sind.«
»Hat er wirklich von Schecks geredet?«
»Ja. Stimmt etwas nicht?«
»Allerdings. Die Nummern dieser Schecks könnten notiert und an sämtliche Banken geschickt werden. Du müßtest zu einer Bank, um sie einzulösen; dann würden die Zahlungen gestoppt werden.«
»Ein schlauer Bengel, was? Er läßt sich von beiden Seiten bezahlen. Was tun wir?«
»Nimm nur die Obligationen mit verschiedenen Laufzeiten. Die lassen sich viel leichter zu Geld machen.«
»Du hast dir gerade dein Abendessen verdient«, sagte Jason und strich ihr zärtlich über die Stirn.
»Ich versuche, mir meinen Unterhalt zu verdienen«, erwiderte sie und hielt seine Hand fest. »Zuerst Dinner, dann Peter ... und danach der Buchladen auf der Rue Saint-Germain.«
»Ein Buchladen in Saint-Germain«, wiederholte Bourne; und plötzlich schoß ihm wieder der Schmerz durch die Brust.
Was war das nur? Warum hatte er solche Angst?
Sie verließen das Restaurant am Boulevard Raspail und gingen zum Telegrafenamt an der Rue Vaugirard. In der Mitte der Halle stand ein riesiger, kreisförmiger Tresen, wo Angestellte die Kunden bedienten und ihnen eine der gläsernen Zellen zuwiesen, die in den Wänden eingelassen waren.
»Wir haben augenblicklich sehr wenig Überseegespräche, Madame«, sagte die junge Frau hinter dem Schalter zu Marie. »Ihr Gespräch sollte in wenigen Minuten durchgeschaltet sein. Nummer zwölf, bitte.«
»Danke.«
Während sie zur Zelle gingen, hielt Jason ihren Arm. »Ich weiß, warum die Leute hierher kommen«, sagte er. »Die Verbindung klappt hundertmal schneller als in einem Hotel.«
»Das ist nur einer der Gründe.«
Als sie drinnen zweimal die Glocke anschlagen hörten, öffnete Marie die Tür und trat ein, das Notizbuch mit dem Spiralrücken und einem Bleistift in der Hand. Sie nahm den Hörer ab.
Sechzig Sekunden später sah Bourne mit Erstaunen, wie sie die Wand anstarrte und ihr Gesicht plötzlich kalkweiß wurde. Sie fing zu schreien an, ließ die Handtasche fallen, so daß ihr Inhalt sich über den Boden der kleinen Zelle verteilte; das Notizbuch blieb auf dem Sims liegen, der Bleistift zerbrach zwischen ihren Fingern. Er rannte hinein, sie war dem Zusammenbruch nahe.
»Hier ist Marie St. Jacques in Paris, Lisa. Peter erwartet meinen Anruf.«
»Marie? O mein Gott ... « Die Stimme der Sekretärin wurde von anderen Stimmen im Hintergrund übertönt. Jemand legte die Hand über den Hörer. Dann raschelte es am anderen Ende der Leitung, als der Hörer aufgenommen wurde.
»Marie, hier ist Alan«, sagte der stellvertretende Abteilungsdirektor. »Wir sind alle in Peters Büro.«
»Was ist denn, Alan? Ich habe nicht viel Zeit; kann ich ihn bitte sprechen.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. »Ich wünschte, ich könnte dir das leichter machen, aber ich weiß nicht, wie. Er ist tot, Marie!«
»Er ist ... was?«
»Die Polizei hat vor ein paar Minuten angerufen; sie sind hierher unterwegs.«
»Die Polizei? Was ist passiert?«
»Wir versuchen das mit Hilfe seiner Telefonnotizen herauszufinden; aber man hat uns gesagt, wir sollen nichts auf seinem Schreibtisch anrühren.«
»Alan, sag mir endlich was geschehen ist!«
»Das ist es ja gerade, wir wissen es nicht. Er hat keinem von uns gesagt, was er macht. Uns war nur bekannt, daß er heute morgen zwei Anrufe aus den Staaten bekam: einen aus Washington, den anderen aus New York. Gegen Mittag sagte er Lisa, er würde zum Flughafen fahren, um
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