Die Bourne-Identität
über mich.«
»Ich kann dich nicht aufhalten, aber sei um Gottes willen vorsichtig! Wenn sie dich erkennen, werden sie dich töten!«
»Nein. Dort nicht; das wäre fatal für ihr Geschäft.«
»Ich finde das gar nicht komisch, Jason.«
»Ich auch nicht. Ich verlasse mich sehr ernsthaft darauf.«
»Was wirst du tun? Ich meine, wie wirst du vorgehen?«
»Das werde ich entscheiden, wenn ich dort bin. Ich werde sehen, ob jemand herumläuft und nervös oder verängstigt aussieht oder auf einen Telefonanruf wartet, als hinge sein Leben davon ab.«
»Und dann?«
»Dann werde ich mich wie bei d'Amacourt verhalten: vor dem Eingang warten und dem Betreffenden folgen. Ich werde ihm ganz nahe sein; er kann mir nicht entkommen. Und ich werde höllisch aufpassen.«
»Wirst du mich anrufen?«
»Ich werde es versuchen.«
»Das Warten wird mich verrückt machen.«
»Dann warte nicht. Du könntest inzwischen die Wertpapiere irgendwo deponieren.«
»Die Banken sind geschlossen.«
»Ein großes Hotel hat auch einen Safe.«
»Man muß dort ein Zimmer haben.«
»Dann nimm eines. Im >Meurice< zum Beispiel oder im >George Cinq<. Laß den Koffer an der Rezeption, aber komme wieder hierher zurück.«
Marie nickte. »Auf die Weise habe ich wenigstens etwas zu tun.«
»Anschließend rufst du Ottawa an. Versuche herauszufinden, was mit Peter geschehen ist.«
»Das werde ich.«
Bourne trat an den Nachttisch und steckte sich ein Bündel Geldscheine in die Jackentasche. »Bestechung wäre einfacher«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß es dazu kommen wird, aber es könnte ja sein.«
»Ja, durchaus«, pflichtete Marie ihm bei und fuhr im gleichen Atemzug fort: »Hast du dich gerade gehört? Du hast soeben die Namen von zwei Hotels genannt.«
»Ja, das habe ich.« Er drehte sich herum und sah sie an. »Ich bin schon hier gewesen. Viele Male. Ich habe hier gewohnt, aber nicht in diesen Hotels. In Nebenstraßen, denke ich. In solchen, die sich nicht sehr leicht finden lassen.«
Sie schwiegen. Die Angst, die sich im Raum ausgebreitet hatte, war fast körperlich zu spüren.
»Ich liebe dich, Jason.«
»Ich liebe dich auch«, sagte Bourne.
»Komm zu mir zurück. Gleichgültig, was geschieht, komm zu mir zurück.«
Die Spotlights, die an der dunkelbraunen Decke angebracht waren, tauchten die teuer gekleideten Kunden in ein warmes, schmeichelhaftes Licht. Die Vitrinen für Schmuck und Accessoires waren mit schwarzem Samt ausgeschlagen und mit einer raffinierten indirekten Beleuchtung versehen. Die Gänge wanden sich im Halbkreis und vermittelten die Illusion von räumlicher Großzügigkeit, die in Wirklichkeit gar nicht gegeben war, denn >Les Classiques< war zwar nicht klein, aber keineswegs ein großes Haus. Es war vielmehr ein elegant ausgestattetes Geschäft an einer der teuersten Straßen von Paris. Im hinteren Teil befanden sich die Umkleidekabinen mit Türen aus gefärbtem Glas. Auf der Empore darüber, über eine Freitreppe erreichbar, lagen die Büros der Geschäftsleitung. Am Fuße der Treppe war die Telefonzentrale eingerichtet, die von einem seltsam deplaziert wirkenden Mann in einem konservativen Straßenanzug besetzt war.
Das Bedienungspersonal bestand vorwiegend aus Frauen, deren schmale Gesichter und schlanke Figuren darauf hindeuteten, daß sie zuvor als Mannequins gearbeitet hatten. Die wenigen Männer waren ebenfalls schlank und trugen eng anliegende Anzüge. Mit tänzerischer Geschmeidigkeit bewegten sie sich durch die Verkaufsräume.
Romantische Musik ergoß sich aus versteckten Lautsprechern. Jason schlenderte durch die Gänge, schaute sich die ausgestellten Kleider an und befühlte ihre Stoffe. Das half ihm, seine Verblüffung zu verbergen. Wo war die Verwirrung, die Angst, die er im Herzen von Carlos' Informationszentrum zu finden erwartet hatte? Er blickte nach oben auf die Empore. Dort liefen Männer und Frauen über den Flur, manche blieben stehen und wechselten ein paar Sätze mit einem Kollegen. Nirgends war die geringste Andeutung von Nervosität zu verspüren; überhaupt keine Spur davon, daß ihr Plan gescheitert war, daß ein Killer - Carlos' einziger Mann in Paris, der ihre Zielperson hätte identifizieren können - von einer Kugel in den Kopf getötet worden war.
Es war unglaublich, und sei es nur, weil die ganze Atmosphäre das genaue Gegenteil von dem war, was er erwartet hatte. In diesem Laden bemerkte er Gesichter, keine huschenden Augen, keine abrupten Bewegungen, die Alarm bedeuteten;
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