Die Brandungswelle
holte die Post und warf sie auf den Tisch neben die Kataloge. Sie würde sie später durchsehen. Dann polierte sie die Gläser, obwohl sie schon sauber waren. Sie putzte auch den Tresen.
Sie wartete auf die Gäste. Sie hätte sich gewünscht, dass es voll gewesen wäre.
Sie sagte es. »Was treiben sie denn, kommen sie heute nicht?«
E in Sammler aus Dinard war ins Atelier gekommen, er hatte zwei Bronzefiguren gekauft, den Christus am Kreuz und einen Bettler . Er hatte gesagt, dass er den Bettler in seinen Garten stellen werde.
Raphaël hatte schon einige Bronzeskulpturen verkauft, aber Exemplare von dieser Größe, das war das erste Mal. Und dann gleich zwei davon!
Mit dem Geld würde er andere Skulpturen gießen lassen. Die Flehenden , das war sein Traum. Seit Monaten thronten sie im Atelier, drei Frauen, durch ihre Bäuche miteinander verbunden, die offenen Hände erhoben, die Oberkörper aufgerichtet. Ihre asketischen Gesichter jedes Inhalts entleert. Sie flehten. Raphaël hatte sie gefesselt, die nackten Füße im Sockel versenkt, als wollte er sie aus einem dunklen Grund noch zurückhalten.
Raphaëls Hand strich über den Gips.
»Ich muss sie nur noch signieren.«
Er zog einen Nagel aus der Tasche und suchte eine unauffällige Stelle unten am Sockel.
Schließlich spuckte er auf die Nagelspitze und kratzte den ersten Buchstaben ein, das R von Raphaël. R. Delmate. Er pustete den Staub weg. Die Gravur wurde sichtbar.
Es war das erste Mal, dass ich ihn signieren sah. Er erklärte mir, dass manche Künstler die Bronze direkt signieren würden, mit einer Bohrmaschine, mit einem Gerät, das dem Zahnarztbohrer glich. Doch es mochte das nicht.
Ich sah bis zum letzten Buchstaben seines Nachnamens zu.
»Was ist das für ein Gefühl, deinen Namen in deine Arbeit zu gravieren?«, fragte ich, als er fertig war.
»Ich scheiß auf meinen Namen!«
Er schrieb das Datum, Monat, Jahr, dann rieb er mit der Hand darüber.
»Man muss es machen. Und ich suche immer die unauffälligste Stelle.«
Er stand auf.
»Wenn ich die Tugend verkauft habe, lasse ich die Totennäherin gießen.«
Er senkte den Kopf.
Sein Auto stand im Hof, der offene Kofferraum war voll mit Decken und Kartonstücken. Er rief Max, gemeinsam luden sie die Gipsfiguren ein.
Dann ging Max zu seinem Boot zurück. Er versah den Rumpf mit einer letzten Farbschicht, ein sehr dunkles Grün, fast schwarz.
»Du solltest eine Atemschutzmaske tragen«, sagte ich.
Alle sagten es ihm.
Raphaël auch.
Er tat es nicht.
Am späten Nachmittag sahen wir Max in die Küche kommen, er hielt sich den Kopf mit beiden Händen. Morgane löste zwei Tabletten in einem Glas Wasser auf.
»Wir haben dir gesagt, du sollst eine Maske tragen …«
Sie rührte mit einem Löffel um, der Wasserwirbel riss die festen Teilchen mit.
»Trink!«, sagte sie, weil er sie ansah, anstatt zu trinken, und die Aspirinteilchen schon wieder auf den Boden des Glases sanken.
Sie musste nochmal umrühren.
»Jetzt trinkst du aber.«
Am nächsten Tag strich Max den Rumpf zu Ende. Er musste nur noch die Kabinentür lackieren und die Buchstaben von La Marie-Salope nachziehen. Wenn er damit fertig war, würde er in See stechen können.
Er weinte fast vor Freude. Er hatte den Motor und alle Gerätschaften auf dem Boot überprüfen lassen. Ein offizielles Dokument bestätigte, dass die Marie-Salope wirklich aufs Meer hinausfahren und der Strömung trotzen konnte.
Er trug das Dokument immer bei sich.
Bei der Farbe, mit der er den Namen nachzeichnen wollte, zögerte er noch. Er wollte eine Farbe, die zum Meer passte.
Er fragte mich, welche Farbe das Meer habe, und ich sagte ihm, dass das Meer manchmal blau sei. Sehr oft sei es auch braun. Aber es komme auch vor, dass es schwarz oder metallisch sei oder die Farbe des Himmels annehme, und dann wisse man nicht mehr genau, was seine Farbe sei.
Max beschloss, die Buchstaben grün zu schreiben, weil Grün zu allen Farben passte, die ich genannt hatte, auch zu den undefinierbaren Farben des Himmels.
Er fragte uns nach unserer Meinung. Raphaël gab ihm eine Farbtube und einen Pinsel, und Max zeichnete die Buchstaben nach, ohne zu zittern.
Am selben Tag, vielleicht auch am nächsten, wurde die Bachstelze acht Jahre alt. Raphaël schenkte ihr eine große Kiste mit Bleistiften, Filzstiften und Pastellkreide. Als sie das sah, blieb
sie lange mit der offenen Kiste auf dem Schoß sitzen, ohne etwas anzurühren.
Nach einer Weile machte sie den
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