Die Brandungswelle
ohne ein Wort zu sagen.
»Sie sind wiedergekommen …«
Das sagte ich. Mit erstickter Stimme. Wie erstorben.
Er kam zu mir.
»Verzeihen Sie mir.«
Ich hätte ihn schlagen mögen. Mit den Fäusten. Gewalt gegen ihn anwenden. Ich wandte mich ab. Ich erstickte. Ich sah zur Tür.
»Verzeihen Sie mir«, wiederholte er, aber ich schüttelte den Kopf.
Ich konnte nicht.
»Verzeihen Sie mir.«
Er wiederholte es ein drittes Mal. Er drückte mich an sich, seine Hand wie ein Schraubstock hinter meinem Kopf. Er zwang mich, ihn anzusehen, dann bewegte er die Hand, es war nur eine Bewegung seiner Finger, er legte sie um den Schal.
»Der gehört mir …«
Ich löste mich von ihm. Unendlich langsam. Erst den einen Arm, dann den anderen, schließlich den Oberkörper und dann ganz und gar. Ich band den Schal ab.
»Nicht, was Sie denken.«
Er lächelte.
»Ich denke gar nichts.«
Er ging zum Feuer zurück und legte ein weiteres Holzscheit auf. Er zog eine Zigarettenschachtel aus der Tasche, zerriss das Papier und zündete sich eine Zigarette an.
»Ich wollte weg. Ich bin bis Saint-Lô gekommen. Ich bin gelaufen.«
Das sagte er.
Laufen … ich wusste, was das war. Man läuft nicht acht Tage.
»Was gibt es in Saint-Lô?«
»Nichts. Eben darum bin ich nach Hause gefahren.«
Er zog an seiner Zigarette.
»Ich musste über das alles nachdenken.«
Er setzte sich an den Kamin, die Hände zu den Flammen ausgestreckt.
Ich setzte mich neben ihn. Blickte wie er ins Feuer. Ich spürte noch die Kraft seiner Hand in meinem Nacken. Ich hatte Lust, ihn zu fragen, warum er zurückgekommen war.
»Was ist bei Théo geschehen?«
»Nichts … Wir haben geredet.«
»Sie haben geredet … Und direkt danach sind Sie weggefahren, mitten in der Nacht.«
»Mitten in der Nacht, ja.«
Seine Stimme klang eigenartig.
»Ich weiß noch, wie mich meine Mutter gefragt hat, ob ich noch einen kleinen Bruder haben wolle. Wir saßen genau hier, vor dem Kamin … Ich war dreizehn, hatte meine Gewohnheiten. Ich habe Ja gesagt, um ihr eine Freude zu machen.«
Er verstummte.
Ich steckte die Hand in die Tasche, holte das Foto seines Bruders hervor und hielt es ihm hin.
Er nahm es in die Hand.
»Sie haben es wiedergefunden … Wo war es?«
»Bei Nan. Zwischen anderen Kinderfotos. Sie dürfen ihr nicht böse sein.«
»Ich bin ihr nicht böse … Wissen Sie, warum sie das getan hat?«
Ich sagte, dass ich es nicht wisse.
Er schaute weiter das Foto an.
»Er hat immer meine Finger genommen und mit ihnen gespielt. Ich mochte seine Haare.«
Ich hörte zu, wie er von seinem Bruder sprach, mein Gesicht in seinem Schal. Mein Atem legte sich auf die Wollfäden. Die Wolle wurde feucht. Ich sog ihren Geruch ein.
»In meinen Träumen bin ich so oft ertrunken, ich ertrinke immer noch.«
Er deutete ein Lächeln an, dann verschloss sich sein Gesicht. Lange blieb er so sitzen, vornübergebeugt, das Foto in den Händen.
Ich gab ihm den Bericht vom Unglückstag, den sorgfältig gefalteten
DIN A4-Bogen. Er las ihn. Als er fertig war, faltete er ihn wieder zusammen und schob ihn unter das Foto.
»Wissen Sie, weshalb ich zurückgekommen bin?«
Er drehte das Foto und das Blatt Papier in den Händen.
»Irgendetwas stimmt noch nicht … Ich weiß nicht was, aber irgendwas ist da …«
Er wandte den Kopf ab, der Blick plötzlich undurchdringlich. Als machte es ihm Angst da zu sein und noch mehr zu erfahren.
»Ich war Polizist, um solche Dinge herauszufinden.«
Er sagte nichts mehr.
Ich blieb noch einen Moment sitzen, dann stand ich auf.
Er starrte ins Feuer.
Ich sah ihn noch einmal durchs Fenster an, er hatte sich immer noch nicht gerührt. Dieselbe sorgenvolle Stirn.
Ich ging zur Griffue hinunter. Er hatte mich an sich gedrückt. Für einen Moment war es da gewesen, dieses Verlangen nach Berührung.
Diese Kraft in seinen Händen. Man umarmt auch Steine, wenn man nichts mehr hat, ich hatte es erlebt.
Ich wollte nicht an ihn denken.
Als ich bei der Griffue ankam, stand der Bronzegießer mit seinem Lieferwagen da. Es tat mir gut, jemanden zu sehen. Er brachte zwei in Bronze gegossene Skulpturen, den Sitzenden Denker und die Herumirrende aus dem Slum . Sie stellten die Skulpturen ins Atelier.
Hermann war auch da. Extra gekommen. Es war das erste Mal, dass ich ihn traf. Die Bronzen waren grandios. Er ging um sie herum. Es waren nicht die ersten Skulpturen, die Raphaël hatte gießen lassen, aber es waren die größten.
Hermann sagte, er würde
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