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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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lebhaft.
    »Und erinnerst du dich an den Tag, an dem er weggegangen ist?«
    »Ja … Max war sehr traurig.«
    »Und er, war er auch traurig?«
    »Ich weiß nicht. Er ist gegangen.«
    »Hat er dir gesagt, warum er geht?«
    »Nein. Er ist gegangen.«
    Nan säuberte immer noch den Stein, sie achtete nicht auf uns.
    »Hatte dein Freund noch andere Freunde?«
    »Nein, er war der Freund von Max.«
    Er runzelte die Stirn, als würde ihm plötzlich etwas einfallen.
    »Einmal hat er geweint. Danach ist er gegangen.«
    Ich sah ihn an.
    »Warum hat er geweint?«
    Er folgte immer noch mit den Augen jeder Bewegung von Nan, der Langsamkeit ihrer Schritte.
    »Wer hat deinen Freund zum Weinen gebracht?«
    »Lili.«
    »Lili? Weißt du warum?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Er zeigte mit dem Finger auf Nan.
    »Sie hat die Auflösung von ihren Haaren gemacht, dabei ist kein Schiffsuntergangstag.«
    Ich sah hin und bemerkte, dass Nans Haare offen flatterten wie an Sturmtagen.

     
    Nachdem ich den Friedhof verlassen hatte, sah ich sie, Lambert und Lili, sie saßen im Hinterhof des Bistros.
    Ich wusste nicht, was sie besprachen. Es sah so aus, als würden sie sich streiten. Sie standen noch einen Moment draußen, dann ging Lambert.
     
    Monsieur Anselme hielt neben mir an und kurbelte die Scheibe herunter.
    »Ich habe sehr wenig Zeit, aber ich wollte Ihnen Bescheid geben … Meine Freundin Ursula kommt am Samstag zum Tee zu mir. Wollen Sie sich zu uns gesellen? Ursula ist eine hervorragende Bäckerin, sie bringt immer köstlichen Kuchen mit.«
    Er lächelte mir mit einem Augenzwinkern zu.
    »Wir könnten uns am frühen Nachmittag treffen. Sie würde Ihnen von der Zuflucht erzählen. Nun, was halten Sie davon?«
    Ich sagte, dass ich einverstanden sei. Bei schönem Wetter würde ich zu Fuß am Meer entlang gehen.
    Er fuhr ein paar Meter, dann hielt er wieder an.
    »Was interessiert Sie eigentlich so an der Geschichte von dieser Zuflucht ? Das ist doch nur ein altes Gebäude! Und diese Kinder, inwiefern ist ihr Schicksal …«
    Ich versuchte ein Lächeln, das genauso strahlend sein sollte wie seins.
    »Ich bin wie sie … Eltern unbekannt.«
    Ich hätte es gern leichter, herzlicher gesagt, aber die Worte fielen bleischwer aus meinem Mund. Ich merkte, dass ich rot wurde.
    Monsieur Anselme legte die Hand auf meinen Arm.
    »Sie müssen sich nicht …«
    Was wollte er sagen? Dass ich mich nicht schämen müsse? Natürlich nicht. Wer würde sich deshalb schämen?

     
    Die Mutter schob ihr Gesicht durch die Streifen des Plastikvorhangs. Sie sah mich hereinkommen und spielte mit den Fingern an den Streifen herum. Sie waren klebrig. Mit all dem imprägniert, was in Form von Dampf aus der Küche kam.
    Mit schweren Lidern trat sie auf mich zu. Ihre Tasche trug sie in der Hand.
    Ich setzte mich an den Tisch.
    Sie nahm auf dem Stuhl gegenüber Platz, senkte die Augen und rieb sanft die Hände aneinander. Sie wartete. Ohne etwas zu sagen.
    Lili war noch im Hof. Hinten im Garten. Nach ihrem Streit mit Lambert hatte wohl auch sie das Bedürfnis zu laufen.
    »Was wollen Sie?«, fragte ich die Mutter.
    Sie antwortete nicht.
    Ich erzählte ihr vom Gehöft, ein wenig von Théo, und dann vom Hof, vom Haus. Sie richtete sich langsam auf. Lauschte aufmerksam jedem Wort. Sie machte kein Geräusch, nicht mal mit den Zähnen. Ich beschrieb ihr unsere Gespräche am Küchentisch und Théos Schritt, wenn er mich bis zum Weg begleitete. Ich erzählte ihr nichts vom Dachfenster, auch nicht von dem Umweg, den ich gemacht hatte, um bei Nan vorbeizugehen.
    Sie öffnete ihre Tasche und holte das Hochzeitsfoto heraus. Sie zeigte es mir, als wäre es das erste Mal.
    Und ich sah es an, als hätte sie es mir noch nie gezeigt.
    Sie weinte ein bisschen. Dickflüssige Tränen, die schwerfällig herunterperlten. Am Ende waren ihre Augen wie große Seen.
    Ich fand das schön.
    Sie holte ein anderes Foto heraus und schob es mir hin. Es war das Bild, das Lili von der Wand genommen hatte.
    Ich hatte gerade Zeit, einen Blick darauf zu werfen, dann hörten wir die Küchentür aufgehen und heftig zuschlagen.
    Kurzes Stühlescharren. Die Mutter steckte das Foto wieder
ein. Lili war zurück. Ich sah sie von hinten zwischen den Streifen des Vorhangs, etwas stärker gebeugt als üblich.
    Es war selten, dass man sie so sah.
    Dann bemerkte sie uns.
    »Was heckt ihr beiden da aus?«, fragte sie und ging hinter den Tresen.
    Wir antworteten nicht.
    Die Mutter nahm wieder ihren Platz ein.
    Lili

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