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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Tasse in die Hand, starrte in die Tasse, auf den Kaffee. Seine Bewegungen waren langsam.
    »Jemand hat gesagt, du wärst wegen Prévert hier.«
    »Prévert …«
    Darüber musste er lächeln. Der Löffel glitt in seine Tasse. Ein leises Geräusch.
    »Wie lange haben wir uns nicht gesehen?«
    »Lange.«
    »Lange, das sind vierzig Jahre«, sagte Lili.
    Sie holte zwei kleine Gläser aus dem Regal, stellte sie neben die Tassen und füllte sie.
    »Mach dir keine Gedanken«, sagte sie.
    Ich verstand nicht, warum sie das sagte, ob es wegen damals war oder wegen des durchsichtigen Schnapses, den sie ihm eingoss.
    »Bist du verheiratet?«, fragte Lili.
    »Nein.«
    »Kinder?«
    Er lächelte.
    »Nein … Und du?«
    »Ich war verheiratet. Ein Fischer. Er ist im Meer geblieben.«
    »Das tut mir leid.«
    »Dass er tot ist? Muss es nicht.«
    Sie stellte die Flasche zurück und stützte die Ellbogen auf den Tresen.

    »Am Anfang denkt man, man krepiert, aber dann krepiert man nicht. Man lebt. Es gibt sogar Momente danach, wo man auflebt.«
    Sie trank ihr Glas aus.
    »Das ist vielleicht nicht besonders schön, aber es ist halt so!«
    Lambert starrte in den Spiegel hinter ihr.
    »Ich bin älter geworden«, sagte er.
    »Ich bin auch älter geworden, na und?«
    »Hättest du mich erkannt?«
    Sie zuckte die Schultern.
    Er wandte den Kopf ab. Starrte ein paar Sekunden auf den Fußboden.
    »Unwichtig …«
    »Du hast mir nicht geantwortet, was führt dich hierher?«
    »Ich wollte La Hague wiedersehen. Ich verkaufe das Haus.«
    Sie nickte.
    »Ich weiß, der Notar ist hier Stammgast. Und bleibst du noch?«
    »Ja, einen Tag oder zwei …«
    Er streckte die Hand zum Erdnussautomaten aus, steckte eine Münze hinein und drehte am Griff.
    Lili folgte ihm mit den Augen.
    »Wo schläfst du?«
    »In La Rogue.«
    »Bei der Irin?«
    »Ja.«
    »Das war mal ’ne Nutte, weißt du das?«
    »Das ist mir egal.«
    Sie zeigte auf die Mutter im Sessel.
    »Das ist meine Mutter.«
    Die Alte richtete sich auf. Sie wackelte mit dem Kopf, wie ein kaputter Kreisel.

    »Lebt sie nicht mehr bei deinem Vater?«
    »Wolltest du etwa bei dem alten Verrückten leben? … Vor zwanzig Jahren habe ich sie zu mir genommen.«
    Er betrachtete die Mutter.
    Lili sah nach draußen.
    »Wir können zusammen essen, wenn du willst!«, sagte sie.
    »Später …«
    »Später, wann ist das?«
    »Keine Ahnung.«
    Mit der Hand strich er über den glatten Tresen.
    »Ich habe deinen Vater gesehen, als ich bei ihm vorbeigegangen bin. Er war im Hof.«
    »Na und? Ich sehe ihn seit fünfzig Jahren, jeden Tag!«
    »Sprecht ihr nicht mehr miteinander?«
    Lili lachte höhnisch.
    »Guten Tag, guten Abend! Das ist für niemanden ein Geheimnis. Warum? Hat er es dir erzählt?«
    »Nein, Morgane.«
    Er sah sie an, rasch, ein Blick wie ein Straucheln.
    »Bist du mir böse?«
    »Wieso? Weil du meinen Vater beschuldigst, deine Eltern umgebracht zu haben? Beruhige dich, ich beschuldige ihn noch viel schlimmerer Dinge.«
    Sie war lauter geworden. Die Stimme kalt, schneidend.
    »Glaubst du immer noch, dass er den Leuchtturm ausgeschaltet hat? Bist du deswegen da?«
    »Vielleicht.«
    »Das sind alte Geschichten. Vergiss sie.«
    »Ich kann nicht.«
    »Dann find dich damit ab! Wir alle hier haben uns damit abgefunden!«
    Es war mir unangenehm, da zu sein, sie zu sehen. Sie zu hören.
Ich stand auf und schob vorsichtig meinen Stuhl zurück. Ich wollte gehen, ohne ein Geräusch zu machen.
    Lambert drehte sich um.
    »Was machen Sie?«
    »Ich gehe.«
    Meine Jacke hing noch über der Lehne. Ich nahm sie und zog sie an.
    »Nicht Sie müssen gehen.«
    Er sah Lili an.
    In dem Moment entdeckte er den Strauß.
    »Die Blumen, warst du das?«
    Lili verstand ihn nicht.
    »Wovon sprichst du?«
    Er zeigte auf den Strauß.
    Sie presste die Lippen zusammen.
    Drei Schritte trennten sie von den Blumen. Sie zog den Strauß aus der Vase. Die Stiele waren nass, das Wasser tropfte auf den Boden.
    »Ich bestehle keine Toten, wenn du das sagen willst!«
    Das Wasser rann auch auf ihre Hände. Sie drückte ihm den Strauß in die Arme.
    »Und ich wusste nicht, dass es deine Blumen sind!«
    Nun stand er mit dem Strauß in den Händen da.
    »Und jetzt geh!«, sagte Lili.
    Er wich zurück.
    Er stammelte etwas, Worte, die ich nicht verstand.
     
    Auf der Terrasse stand ein Plastiktisch. Er stand das ganze Jahr über dort, selbst im Winter. Früher gab es auch Stühle, aber eines Nachts war jemand vorbeigekommen und hatte sie alle

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