Die Brandungswelle
mitgenommen, das ich gierig verschlang. Die Kormorane fischten. Ich verbrachte den Tag damit, sie zu beobachten, alles zu notieren.
Eine einsame Grasmücke saß dicht neben mir sehr wachsam auf ihrem Nest.
Vor dem Heimweg legte ich mich mit dem Bauch auf die Erde. Das krause Moos klebte an den Felsen. Der Humus hatte einen starken, undefinierbaren Geruch, eine Mischung aus Salz, verwesten Algen und totem Fisch.
Ich erinnerte mich daran, wie ich mich auf deinen Körper gelegt habe. Und an deinen Körper auf meinem. Dein Gewicht, so
schwer. Ich liebte es, dein Gewicht auf mir. Am letzten Tag hast du deine Hand auf meine Wange gelegt, deine Hand, so breit, dass sie mich ganz bedeckte. Du wolltest sprechen. Du konntest nicht.
Ich kehrte um, als die Flut am höchsten stand. Müde, schwankend. Die Augen glühend, wie die von manchen alten Katzen.
Bei Théo machte ich Halt und legte die Handvoll Walderdbeeren auf den Tisch, die ich für ihn gesammelt hatte. Er aß sie nicht. »Später, heute Abend«, sagte er.
Wir unterhielten uns.
Es fing an zu regnen, ein feiner Regen, der schräg fiel.
Als ich zu Hause ankam, war ich klitschnass. Die Kälte im Rücken. Auf der Haut animalische Schauer.
Das Fahrrad von Max lehnte an der Mauer vor der Griffue . Es war ein altes, völlig verrostetes Ding, das sicher noch den Krieg erlebt hatte. Ich weiß nicht, welchen. Max fuhr niemals darauf. Er benutzte es als Gepäckwagen, die Satteltaschen wirkten wie zwei riesige Körbe, und seine Fischsäcke hängte er über den Lenker.
Die nächste Nacht war klar, durchtränkt von jenem Mondlicht, das manchmal über der Heide strahlte, ein erbarmungsloses Licht, das die lauernden Tiere aufscheuchte und die Sterbenden klagen ließ.
E s war Monatsende, ich musste meine Tabellen für das ornithologische Zentrum ausfüllen und war im Verzug. Ich setzte mich an meinen Tisch am Fenster und arbeitete. Lili stand an der Theke. Sie blätterte in einem Katalog, sie wollte einen Käfig mit Kanarienvögeln kaufen. Damit sie ihr Gesellschaft leisteten, sagte sie. Sie hatte schon mal zwei gehabt, aber die waren im Abstand von einer Woche gestorben.
»Früher haben wir besser gelebt«, sagte sie und klappte den Katalog zu.
Sie sprach mit dem Briefträger.
»Es war auch billiger. Wenn ich in Rente geh, zieh ich in den Süden.«
Die Mutter hob den Kopf.
»Ich komm nicht mit!«, schimpfte sie.
»Nicht zu weit weg von der Küste«, erklärte Lili, ohne sich darum zu kümmern, was die Alte maulte.
Sie wusste nicht, wann das sein würde, die Rente. Fünf Jahre, zehn Jahre … Sie würde ordentlich sparen müssen, der Süden war noch teurer.
Als die Mutter das hörte, begann sie zu heulen, die Nase dicht über dem Tisch. Ihre Brillengläser beschlugen, ein dicker Nebel vor den Augen. Der Briefträger verabschiedete sich.
Ich war dabei, die letzten Spalten auszufüllen, als die Tür gegen die Bambusrohre schlug. Ich spürte den Luftzug und begriff, dass es Lambert war, wegen Lilis Blick und auch, weil die Alten ihr Spiel unterbrachen.
Lambert schloss die Tür und näherte sich der Theke. Er hatte eine dunkle Leinenhose an, einen schwarzen Pullover und darüber seine Lederjacke. An den Füßen trug er halbhohe Stiefel mit einer Schnalle an der Seite.
Lili und er sahen sich an.
Sie zögerte, ihr Blick schwankte, sie kam hinter der Theke hervor.
»Da bist du ja«, sagte sie.
Sie küssten sich verlegen, ohne sich zu berühren, die Arme am Körper. Merkwürdig, diese Art der Begrüßung.
Er drehte sich um. Sah sich um. Er bemerkte mich und grüßte mit einem Blick.
»Genauso wie früher«, sagte er.
»Pissgelb, man müsste streichen, aber ich hab keine Zeit. Willst du was trinken?«
»Ja …«
»Was?«
»Ich weiß nicht. Was du willst.«
Sie holte zwei Untertassen hervor und stellte sie auf den Tresen.
Sie füllte den Kaffeefilter.
»Ich wusste, dass du da bist. Ein Typ, der sich hier rumtreibt, alle haben davon geredet. Als ich dich im Garten und dann am Grab gesehen hab, war mir klar, dass du es bist. Auch am Abend des Sturms …«
Das Geschirrtuch lag zusammengerollt neben dem Ranunkelstrauß.
»Da war es so voll hier, deswegen habe ich dich nicht angesprochen.«
»Was hättest du denn auch sagen sollen?«
Es überraschte mich, dass sie sich duzten. Dieses trockene, brutale Duzen.
Sie stellte die Tassen auf den Tresen.
»Du hast auch mit Morgane gesprochen.«
»Ist das das Mädchen mit der Ratte?«
»Genau.«
Er nahm die
Weitere Kostenlose Bücher