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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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bereitete ihm seinen Proviantbeutel vor, eine Plastikschale, die sie mit Reis und Fleisch füllte; sie drückte alles mit einem Löffel zusammen – das sollte für zwei Tage reichen, und niemand würde sich aufregen können, falls er unterwegs jemandem zeigen sollte, was sie ihm gegeben hatte.
    Sie packte alles mit schroffen Bewegungen zusammen, ein bisschen so, wie man einem Hund sein Futter gibt, den man nicht mehr mag.

    Ich beobachtete sie verstohlen, unfähig zu verstehen, wie man sich so hassen kann. Zwischen den beiden wurde sogar das Schweigen zur Beleidigung.
    Théo stellte seine Tasse ab, legte einen Geldschein daneben. Er nahm seinen Beutel und ging.
    Monsieur Anselme blickte ihm nach.
    »Man fragt sich, warum er noch herkommt …«
    Monsieur Anselme meinte, man könne das Geheimnis eines solchen Schweigens unmöglich nachvollziehen, wenn man nicht hier geboren sei.
    Aus der Tiefe ihres Sessels klagte die Mutter weiter.
     
    Théos Haus klebte am Hügel, ein großes Steinhaus außerhalb des Dorfes. Riesige Hortensien wuchsen am Straßenrand. Théo kümmerte sich nicht um sie, also wuchsen sie wild und trugen prächtige Blüten.
    Das Gartentor stand immer offen. Im Hof hingen Katzen an den Näpfen. Auch im Schuppen saßen sie. Sie fauchten, wenn man ihnen zu nahe kam. Ganz oben, im Dach, gab es eine Luke, von der aus man das Meer sehen konnte.
    Eine Dachrinne war undicht. Dort, wo das Wasser hindurchtropfte, breitete sich eine grüne Moosschicht bis zum Boden aus. Im Dorf erzählte man sich, in Häusern wie dem des alten Théo gebe es Goublins . Zwar seien es keineswegs böse Geschöpfe, doch sie besäßen merkwürdige Kräfte. Einige von ihnen erschienen in der Gestalt von Katzen, Kaninchen und manchmal sogar Igeln. Da, wo sich ein Goublin befinde, solle ein Schatz verborgen sein, von dem nur der Goublin wisse.
    Als ich Théo zum ersten Mal sah, stand er draußen auf der Treppe bei seinen Katzen. Ich war stehen geblieben und hatte ihm erzählt, dass ich in der Griffue wohnte und dass ich diejenige sei, die an seiner Stelle die Vögel zählen kam. Er hatte gewusst,
wer ich war, und mich hereingebeten. Graue Vorhänge hingen an den Fenstern. Ich hatte meine Hand unter die abgenutzten Gardinen geschoben. Der Saum war handgenäht. Zwischen den Nadelstichen bemerkte ich Mottenlöcher.
    An jenem Tag hatten wir uns über Katzen unterhalten, nur über Katzen, über die, die draußen lebten, und auch über die, die im Haus waren. Als ich mich verabschiedete, hatte er mir die Hand gedrückt.
    »Wenn Sie wiederkommen, sprechen wir über Vögel.«
    Ich kam wieder.
    Théo kannte meine Gewohnheiten. Er hatte sie durchschaut. Wenn meine Zeit für die Steilküste nahte, erwartete er mich vor der Tür.
    Sobald er mich sah, packte er seinen Stock und stützte sich darauf. Er konnte nicht lange stehen, weil sich Knorpel von seinen Hüftknochen lösten. Man hätte ihn operieren müssen. Doch er wollte nicht.
    »Wer kümmert sich denn um meine Katzen, wenn ich nach Cherbourg muss?«
    Er sagte, dass alle Alten, die ins Krankenhaus gingen, zwischen vier Brettern zurückkämen.
    Er ging neben mir her. Er begleitete mich bis nach La Roche. Wir sprachen von La Hague, von der Heide, diesem rauen und starken Landstrich, dem sich die Menschen beugen mussten.
    Früher hatte er für das Zentrum in Caen gearbeitet. Alles, was ich tat, hatte er getan – Listen erstellen, Eier zählen, Vögel beobachten. Alles, was ich sah, hatte er gesehen.
    Er war mehr als zehn Jahre lang einsam an der Steilküste herumgewandert.

D ie Steinmäuerchen, die den Weg säumten, waren mit Moos bedeckt. Hier und da wuchsen auf einer hauchdünnen Erdschicht kleine Farnbüschel.
    Wir bogen zwischen den Häusern nach rechts ab und gingen bei Nan vorbei. Das machten wir immer, um zum Pfad zu gelangen. Es war nicht der kürzeste Weg, aber Théo gefiel dieser Umweg.
    Als wir an Nans Haus vorbeikamen, sah er zur Tür. Er blieb einen Moment stehen, die Hand auf die Mauer gestützt.
    Unter dem Vordach hingen Laken, sie flatterten im Wind wie Gespenster. Die Tür stand offen, die Sonne drang ins Innere. Hinter einem der Fenster huschte ein Schatten vorbei, dann trat er in die Sonne an der Tür.
    Théo winkte kurz.
    Nans richtiger Name war Florelle. Das erzählte er mir an jenem Tag. Wie ein Geständnis. Nach dem Tod ihrer Familie hatte sie nicht mehr so genannt werden wollen.
    Er nannte sie dennoch so. Als ich ihn darauf hinwies, lächelte er.
    Ein seltsames

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