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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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mitgenommen. Seitdem stellte Lili keine Stühle mehr raus.

    Lambert blieb einen Moment neben dem Tisch stehen, die Blumen an sich gedrückt. Der Blick orientierungslos.
    Schließlich legte er die Blumen auf den Tisch.
    Lili ging zum Fenster. Sie blickte ihm hinterher, solange er auf der Terrasse stand und auch danach, als er die Straße überquerte.
    Die Mutter jammerte mit ihrer Totenstimme.
    »Wer war das?«
    Ihr Mund ein Loch, weit offen.
    »Wer war das?«
    Lili drehte sich zu ihr um.
    »Niemand … Das war niemand …«
    Sie lief hinaus auf die Terrasse und warf den Blumenstrauß in die große Mülltonne.

D u hattest den Stein nicht rausgelegt …«
    Raphaël hielt eine kleine Drahtfigur in den Händen und betrachtete sie. Es war ein Seiltänzer, den er auf einem Gipsseil balancieren lassen wollte. Einen Fuß hatte er schon auf dem Seil befestigt, aber der Tänzer hielt nicht. Also löste er einen Arm vom Körper.
    »Das Gleichgewicht hängt von einem einzigen Detail ab …«
    Mit dem Daumen verstärkte er die Beugung des Rückens.
    »Wenn der hält, fertige ich einen in Lebensgröße an«, sagte er und schloss mit einer Armbewegung den gesamten Raum des Ateliers ein.
    »Ein zwei Meter großer Seiltänzer, der ganz gerade läuft!«
    Die Fußspitze berührte kaum das Seil, die Figur war leicht, fragil.
    »Das kann niemals halten«, warf ich ein.
    »Das kann! Wir halten doch auch!«
    Er trat zurück, um die Wirkung zu begutachten.
    »Aber wir balancieren nicht auf einem Seil …«
    Er klebte sich eine Gitane zwischen die Lippen.
    »Bist du dir da sicher?«
    »Eigentlich nicht, nein. Ich sah mir seine Zeichnungen an.
Ein paar Skizzen, grobe Striche. Er hatte mit seiner Serie noch nicht begonnen.
    Er nahm einen Zug, pustete den Rauch weit von sich.
    »Hermann wartet. Er schimpft schon, behauptet, ich mache es mit Absicht. Von wegen mit Absicht …«
    Ich sah aus dem Fenster.
    Morgane lag im Garten auf einer Bank mitten in der Sonne.
    Ich ging zu ihr.
    Die Ratte schlief zusammengerollt auf ihrem Bauch.
    Morgane machte die Augen auf. Ich stand ihr in der Sonne.
    Mit schlaffer Hand zeigte sie zu den Booten.
    »Er treibt sich rum.«
    Ich wusste es. Ich hatte ihn gesehen.
    Ein Lächeln glitt über ihre Lippen.
    »Lambert Perack heißt er, 1952 in Paris geboren, im 6. Arrondissement. Wohnt in Empury, im Morvand.«
    »Woher weißt du das?«
    Sie ließ den Arm neben der Bank sinken. Mit den Fingerspitzen scharrte sie in der Erde, riss die wenigen Gräser aus, die dort wuchsen.
    »Nicht meine Schuld, wenn er seine Jacke mit der Brieftasche an der Garderobe hängen lässt.«
    Sie stützte sich auf die Ellbogen, die Augen geschlossen.
    »Ich hab beim Mittagsservice geholfen. Er hat das Menü genommen.«
    »Durchsuchst du etwa die Sachen der Gäste?«
    »Ich hab nichts geklaut, nur seinen Namen … Lambert, ziemlich komischer Vorname, findest du nicht? Abgesehen von Lambert Wilson. Gefällt er dir?«
    »Nein.«
    »Du lügst.«
    »Ich lüge nicht.«

    Sie legte sich wieder hin.
    »Glaubst du, die Sonne bleibt?«
    Ich sah sie verständnislos an.
    »Das Ding, das da oben strahlt und uns die Haut wärmt, wenn uns kalt ist!«
    »Sie bleibt«, sagte ich.
    Die Sonne glitt langsam hinter das Haus, und die Bank versank im Schatten.
    Morgane stand auf, lief ins Haus und kam mit einem Badehandtuch wieder raus. Die Ratte klammerte sich an ihre Schulter.
    »Heute früh hab ich den Notar von Beaumont gesehen, er hat vor dem Haus gegenüber von Lili geparkt.«
    Sie ließ das Handtuch am ausgestreckten Arm kreisen, die Füße nach außen gedreht.
    »Vielleicht kauft es ja dein Lambert …«
    »Das ist nicht mein Lambert«, brummte ich.
    Sie wanderte pfeifend zu den Felsen. »Er kauft nicht, er verkauft«, sagte ich, aber sie war schon zu weit weg, um mich zu hören.
     
    Die Sonne blieb nicht. Der Regen prasselte ganz plötzlich über dem Meer nieder, dann trieb der Wind ihn gegen die Fenster. Es war ein feiner, kalter Regen.
    Morgane kam zurückgerannt, das Handtuch über dem Kopf. Ich war in meinem Zimmer, als ich sah, wie sie über den Hof rannte. Ich klopfte ans Fenster, und sie schaute nach oben. Das war ein schönes Bild, dieses durch den Regen laufende Mädchen.
    Ich setzte mich aufs Bett.
    Ich musste das Zimmer aufräumen und den Regen ausnutzen, um die Wände zu streichen. In Hopper-Grün, demselben Grün wie auf dem Bild. Das hatte ich mir vorgenommen. Die Postkarte
war an die Tür geheftet. Ich hätte Farbe kaufen sollen,

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