Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
Vom Netzwerk:
Glauben Sie, dass er für den Tod Ihrer Eltern verantwortlich ist?«
    Er lächelte seltsam.
    »Das ist hübsch gesagt …«
    Er starrte auf sein Glas. Auf die fast leere Flasche.
    »Und Sie? Sind Sie mit Théo befreundet?«
    »Ja.«
    Er stellte sein Glas neben meins. Er ließ sie sich berühren. Und dann leicht gegeneinanderschlagen. Schließlich sah er mich an.
    »Théo hat den Scheinwerfer ausgemacht. Ich weiß nicht warum, aber ich weiß, dass er es getan hat.«
    »Sind Sie deshalb zurückgekommen?«
    »Nein … Ich bin gekommen, um das Haus zu verkaufen und das Zeug zu entsorgen, das noch drin ist … Aber seit ich da bin … Théo hat den Scheinwerfer ausgemacht, und ich will, dass er mir sagt weshalb.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Er kannte doch die Gefahr, die damit verbunden war. Warum sollte er das getan haben?«
    »Er hat es getan.«
    Er legte die Hände aneinander.
    »Ihr Tod ist wie ein Film, den man mittendrin angehalten hat. Ich warte immer noch auf die Fortsetzung. Vierzig Jahre sind eine lange Zeit.«

    »Théo ist alt …«
    »Das ist keine Entschuldigung.«
    Wir hatten keine Krabben mehr. Keinen Wein. Wir verließen den Gasthof.
    Nan war draußen, sie lief an der Mole entlang. Insekten summten über den Sand, oder das Summen war in meinem Kopf … Der ganze Wein …
    Tausende Flöhe auf braunen Algen.
    Er holte seine Zigaretten aus der Tasche. Am Ufer rannte ein blondes Kind, um die Silbermöwen auffliegen zu lassen.
    Er folgte ihm mit den Augen, während er seine Zigarette anzündete. Wen sah er in diesem Kind? Sich oder die Erinnerung an seinen verschollenen Bruder?
    Monsieur Anselme hatte mir erzählt, dass seine Mutter sehr schön gewesen war. Auf dem Medaillon am Grab konnte man den Schatten seines Vaters erkennen, der sich auf dem Kiesweg abzeichnete.
    Nan war ganz am Ende der Mole stehen geblieben, das Gesicht dem Meer zugewandt. Irgendwann drehte sie sich um. Sie war weit weg. Lambert sagte nichts. Er sagte nichts über diesen Blick. Er rauchte seine Zigarette bis zum Filter und drückte sie dann aus.
    Wir gingen weiter. Im Wasser schabten die Steine aneinander. Das Geräusch stieg aus dem Innern des Meeres auf, ein leises Grollen. Die Möwen suchten in den Zwischenräumen nach Krabben. An diesem Küstenabschnitt bildeten die Felsen eine kleine Halbinsel, auf der die Seeschwalben rasteten. Die Halbinsel hatte die Form eines Nestes. Bei Flut war sie überschwemmt.
    Lambert lief zum Strand hinunter. Er kletterte zwischen den Felsen entlang. Auf dem Sand blieben kleine Wellenabdrücke zurück, in denen noch etwas Wasser floss. Er beugte sich hinunter und legte die Hand auf den Sand. Über ihm trotzten zwei
große Silbermöwen stolz dem Meer. Von den Windböen gepackt, berührten sie die Wellenkämme und stießen lange schrille Schreie aus.
    Er richtete sich auf und sah aufs Meer hinaus. Haben alle Menschen, die warten, die gleichen Obsessionen?
    Ich machte kehrt.
    Vor dem Gasthof drehte ich mich noch einmal um. Nan war zu ihm gelaufen und umkreiste ihn nun. Sie wirkte sehr aufgeregt.
    Er war stark, er hätte sie wegjagen können. Doch er ging mit langsamen Schritten am Strand entlang, und Nan folgte ihm. Ab und zu blieb er stehen. Ich weiß nicht, ob er das tat, um auf sie zu warten.
    Mehrmals sah er aufs Meer hinaus, aufs eisige Wasser des Raz Blanchard, als hätte ihn die Nähe zu seinem verschwundenen Bruder dieser alten Verrückten näher gebracht.

D ie Bachstelze sah mich kommen, ihre kleine Kinderhand flach an die Scheibe gedrückt. Ich hatte lange geglaubt, Lili sei ihre Tante oder ihre Großmutter, aber Lili war die Tante von niemandem, und sie hatte keine Kinder.
    Ich ging rein. Die Kleine zog ein Heft aus ihrer Schultasche und legte es ordentlich vor sich hin. Sie zeigte mir auf dem Etikett ihren richtigen Namen, mit roter Tinte geschrieben: Ila. Sie schlug das Heft auf, steckte die Hand in die Tasche und holte eine Handvoll Stifte heraus. Sie suchte sich einen aus und fing an, ihre Striche zu ziehen. Striche und Kreise. Ganze Linien voll. Den Kopf leicht zur Schulter geneigt.
    Ihre Stifte rochen nach Holz.
    »Deine Stifte gehören in eine Federtasche … So brechen die Minen ab.«
    In der Stille hörte ich die Mine über das Papier gleiten. Ihren Atem, das Reiben ihrer Schuhe auf dem Parkett, weil sie mit den Beinen schaukelte. Ihre Füße reichten nicht bis zum Boden. Nur die Spitzen.
    »Kreise und Striche sind nicht genug … Du musst lernen zu schreiben.«
    Sie konnte

Weitere Kostenlose Bücher