Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
Vom Netzwerk:
es nicht.
    Ich schrieb ihr etwas auf.

    Ihre weit aufgerissenen Augen verfolgten die Bewegungen meines Stiftes. Ich las es ihr vor: Ilas Hund heißt Petite Douce .
    Sie nickte.
    Sie sah mich an. Manchmal, wenn sie schrieb, streichelte sie ihr Mal am Mund.
    Unter dem geschriebenen Satz zog sie weiter ihre Striche und malte Kreise. Ich sah sie an. Ähnelte sie dem Kind, das ich nicht von dir haben werde, das du mir niemals machen wirst? Ich hatte dich darum gebeten, ein Kind, ehe du gehst … Du wolltest nicht. Du hast mir sanft erklärt, warum es nicht sein sollte. Ich habe nichts davon behalten.
    Ich drückte die Bachstelze an mich. Ich legte meinen Arm um sie.
    »Soll ich dir erzählen, warum das Rotkehlchen einen Fleck am Hals hat?«
    Sie nickte.
    Ich erzählte es ihr.
    Am Ende hob sie den Kopf. Sie wollte wissen, wer es geschafft hatte, das Feuer zu den Menschen zu bringen.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    Ich wusste es nicht.

D er nächste Tag war ein Sonnabend. Lambert kam mittags. Lili war gerade dabei, ein Papiertischtuch vor mir auszubreiten.
    Er begrüßte mich.
    Als ich die drei Teller auf dem Tisch mit den Katalogen sah, begriff ich, dass sie zusammen essen würden. Die Mutter kam mit ihrer Gehhilfe. Lili sagte, sie habe eine Uhr im Bauch.
    Sie hatte Muscheln mit Reis gemacht. Sie brachte mir einen ganzen Topf voll. Ich zog die Zeitung zu mir.
    Sie setzten sich alle drei hin. Ich hörte, wie er fragte, ob Théo und die Mutter immer noch verheiratet seien. Er hatte wohl den Ring an ihrem Finger gesehen, den alten, glanzlosen Ring, tief ins Fleisch gedrückt.
    »Scheidung ist was für die Leute in der Stadt«, antwortete Lili.
    Sie füllte die Teller. Den Reis tat sie in eine kleine Schüssel. Die Tabletten der Mutter, ein kleines Häufchen neben dem Glas. Das Glas war mit Wasser gefüllt.
    »Der Ehering ist Teil ihres Körpers. Wenn man ihr nicht den Finger abschneidet, wird sie damit begraben.«
    Lambert nickte.
    Als die Mutter die Muscheln sah, steckte sie die Finger in die
Schalen und kratzte sie mit dem Zahnfleisch ab. Sie warf die Schalen wieder in die Schüssel. Wenn sie die Schüssel verfehlte, fielen die Schalen auf den Boden. Dann klackte es leise.
    »Muscheln sind ihr Lieblingsessen. Das und eingeweichte Löffelbiskuits!«
    Lili war noch an der Theke beschäftigt.
    »Sie ist recht pflegeleicht. Solange ich kann, behalte ich sie bei mir. Du kannst mit ihr sprechen. Erzähl ihr, wer du bist.«
    »Wer ich bin?«
    »Na klar, wer du bist!«
    »Ich kann nicht.«
    »Du kannst nicht?«
    »Nein.«
    Lili zuckte die Schultern. Sie warf mir einen Blick zu, um zu sehen, ob alles in Ordnung war.
    Dann setzte sie sich endlich hin. Ihn sah ich von hinten. Leicht gebeugt. Ich hatte nicht erwartet, ihn dort wiederzusehen.
    Im Dorf, am Hafen, im Bistro sprachen die Leute über ihn. Ohne seinen Namen zu nennen. Mit den Augen. Oder mit leiser Stimme. Man munkelte.
    Niemand entgeht dem Gemunkel.
    »Deine Mutter hat uns immer Kuchen gebacken … Hefezöpfe mit Zucker glaciert, das war superlecker. Wir haben sie dann auf den Felsen gegessen und nicht gewartet, bis sie abgekühlt waren. Erinnerst du dich? Wir haben Blähbäuche davon bekommen.«
    »Wir sind auch oft am Strand entlanggerannt und haben Krabben gefangen. Einmal sind wir sogar aufs Dach gestiegen und haben aufs Meer gesehen.«
    Sie sprachen von ihrer Kindheit. Lili sagte: »Du hättest Bescheid sagen können …«
    »Was Bescheid sagen?«

    »Dass du zurückkommst.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Warst du in Aurigny?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Fährst du noch hin?«
    »Keine Ahnung … Vielleicht.«
    »Wenn du dich entscheidest, ich kenne einen Jungen, der ein Boot hat, er kann dich rüberfahren.«
    Ich aß meine Muscheln und las die Zeitung. Gleichzeitig hörte ich ihnen zu.
    »Was hast du die ganze Zeit gemacht?«
    »Nichts. Ich wohne im Morvand. Meine Großeltern kamen von dort, sie haben mich wieder aufgepäppelt.«
    »Ist es schön im Morvand?«
    »Es ist schön, ja, ein bisschen wie hier, mit Wiesen, Kühen, kleinen stillen Straßen.«
    »Nur dass du dort kein Meer hast!«
    Darüber musste er lachen.
    »Nein, wir haben kein Meer … Wir haben auch keinen Atommeiler«, sagte er und spielte auf die Cogema an.
    Lili zuckte die Schultern.
    Sie holte einen Waschhandschuh aus der Küche und rieb die Hände ihrer Mutter ab.
    »Und was machst du jetzt?«
    »Nichts.«
    »Nichts mehr?«
    »Nein, nichts mehr.«
    Lili blickte zu mir herüber, und als sie sah,

Weitere Kostenlose Bücher