Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
Vom Netzwerk:
würden. Aus Spaß hattest du das gesagt.
    Als hättest du es schon gewusst.
    Sie haben dich an einem ungeraden Tag abgeholt. An dich denkend kam ich zum Gasthof.
    Es fing an zu regnen, ich wusste, dass ich nass werden würde, einmal mehr.
    Die Kellnerin kannte mich. In den Wintermonaten war ich zum ersten Mal dorthin gekommen und hatte meine Fäustlinge auf die Heizung gelegt.
    Als ich hereinkam, lächelte sie mir zu. Sie sah, dass ich mit den Zähnen klapperte. Sie servierte mir einen zu starken Schnaps. Ich trank ihn und blickte dabei aufs Meer. Ich bestellte eine Königskrabbe. Ein Riesentier mit rotem Panzer, ich zerbrach die Zangen.
    Die Wolken zogen vorbei.
    Das Meer war grau.
    Die Möwen mussten wegen des starken Windes den Rückzug antreten.

I ch sah Lambert am nächsten Tag wieder, am späten Vormittag, er stand an der Straße vor dem Hof der Bachstelze. Eine Kuh hatte auf einer Wiese gekalbt. Der Vater des Mädchens hatte das Kalb auf eine Schubkarre gelegt und brachte es zum Hof.
    Wir trafen uns zufällig dort. Eine Geburt, auch die eines Kalbes, das lockt die Leute vor die Tür. Das zieht die Blicke an.
    Eine seltsame Karawane folgte der Kuh, der noch ein dicker, schleimiger Sack zwischen den Beinen hing. Direkt hinter der Kuh fuhr der Vater der Bachstelze das Kalb in seiner Karre, dahinter kam die Bachstelze und am Schluss der Hund. Die Achsen der Karre knarrten. Am Himmel schimpften die Möwen.
    »Ziemlich rau, La Hague, was?«
    Er sagte das so komisch, dass ich lachen musste.
    Wir sahen uns an. Unsere Augen tränten im Wind.
    »Und? Ist Ihr Haus verkauft?«, fragte ich ihn.
    »Es finden Besichtigungen statt.«
    Ich nickte.
    Der Sack riss ab. Die Kuh drehte sich nach dem um, was da aus ihr herausgefallen war, ein Haufen Schleim und Blut, der noch dampfte.
    Er hatte Recht, La Hague war ziemlich rau. Ich spürte das Lächeln wiederkommen.

    Seine Jacke knirschte.
    »Die Wunde ist nicht verheilt«, sagte er und zeigte auf meine Wange.
    Ich fasste hin.
    »Wegen dem Rost dauert es länger.«
    Die Kuh verschwand im Stall. Er steckte die Hände in die Taschen und wandte sich dem Meer zu.
    »Ich habe Sie auf der Steilküste gesehen. Max sagt, dass Sie hingehen, um Vögel zu zählen. Er sagt auch, dass Sie sich in die Grotten legen, um das Meer anzusehen.«
    »Max erzählt zu viel.«
    Er machte ein paar Schritte auf der Straße.
    »Und was für Vögel zählen Sie?«
    »Ich zähle sie alle.«
    »Deswegen das Fernglas?«
    »Ja.«
    »Haben Sie das schon immer gemacht?«
    Ich zögerte. Ich war nicht mehr an Fragen gewöhnt. Solche, die man mir stellte, auf die ich antworten musste. Die anderen auch.
    »Nein, früher war ich Biologiedozentin in Avignon. Ich habe mit dem Ornithologischen Zentrum von Pont-de-Crau in der Camargue zusammengearbeitet.«
    »Ah, ja … In der Camargue gibt es viele Vögel.«
    Ich sah ihn an. Seine Art zu sprechen, so unbekümmert.
    »Es gibt viele, stimmt.«
    »Und dann sind Sie von Avignon nach La Hague gekommen?«
    Ich nickte.
    Es war niemand mehr auf dem Weg. Die Kuh, der Hund, der Vater, alle waren sie verschwunden. Es folgten ein paar unentschlossene Sekunden, in denen wir auch hätten gehen können,
jeder in seine Richtung, unsere Wege hätten sich nur gekreuzt. Zwei Geschöpfe, die nicht füreinander existierten, wären wir dann gewesen.
    »Und Rotkehlchen, zählen Sie die auch?«
    »Nein, Rotkehlchen nicht.«
    »Warum zählen Sie die nicht?«
    »Ich kümmere mich nur um Seevögel, um Zugvögel.«
    »Also doch nicht alle Vögel …«
    Er lief noch ein paar Schritte, langsame Schritte.
    Er wartete auf mich.
    »Wissen Sie, warum das Rotkehlchen diesen roten Fleck auf dem Kropf hat?«
    Ich hatte keine Ahnung. Ich drehte mich um. Hinter mir lagen das Dorf und die Straße, die es durchquerte.
    Vor mir war er.
    Ich machte einen Schritt.
    Er streckte den Arm zur Sonne. Ich sah seine Hand an, sein kräftiges Handgelenk. Das Lederband, das seine Uhr hielt.
    Ich machte noch einen Schritt.
    Er sagte nichts mehr, bis ich neben ihm war. Dann sprach er weiter. Wir gingen in Richtung Hafen.
    »Die Geschichte stammt aus der Zeit, als die Menschen noch kein Feuer hatten. Ein Vogel hatte die Idee, es der Sonne zu stehlen, er wollte es den Menschen schenken, aber auf dem Rückweg sind seine Flügel in Brand geraten, und so musste er das Feuer an einen anderen Vogel weitergeben. Der andere Vogel war ein Rotkehlchen. Es hat das Feuer an sich genommen, aber auch das Rotkehlchen ist nicht bis zu den

Weitere Kostenlose Bücher