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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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und wandte sich schließlich an mich.
    »Sagen Sie es ihr!«
    »Was soll ich ihr sagen? Dass Sie nicht der sind, den sie sucht? Sie sehen doch, dass sie es nicht hören will …«
    »War der Junge, den sie sucht, mit auf dem Boot der Hochzeitsgesellschaft?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    Ich sah ihn an.
    »Vielleicht war er dort, vielleicht auch nicht …«
    Lambert schüttelte den Kopf.
    »Aber ich bin nicht der, den sie sucht … Man darf sie das nicht glauben lassen.«
    Er wandte sich wieder an Nan und sagte es ihr nochmal. Nan
rieb ihre Hände aneinander. Plötzlich schien sie sehr aufgeregt. Sie konnte nicht hören, was er sagte, sie wollte es nicht, und weil er immer noch unablässig wiederholte, dass er nicht Michel sei, hielt sie sich die Ohren zu, ganz fest.
    Im Raum herrschte eine angespannte Atmosphäre, ihr Blick war schrecklich verwirrt, ich dachte, sie würde gleich anfangen zu schreien.
    Auch Lambert bemerkte es. Er streckte die Hand zu ihrem Arm aus, berührte sie aber nicht. Sie sah die Hand an, diese Geste.
    Dann stand sie auf und ging zur Tür. Bevor sie sie öffnete, drehte sie sich um und blickte Lambert ins Gesicht. Es war, als hätte sie gerade etwas verstanden, vielleicht den Sinn, den sie dieser Geste beimessen konnte. Sie lächelte – ein Lächeln, das mich erschaudern ließ.
    Dann lief sie fort.
    Lambert und ich sahen uns an. Wir wollten unseren Kaffee trinken, aber er war schon kalt.
    »Machen wir uns neuen?«
    Ich nickte.
    Er leerte die Tassen in die Spüle. Der Besuch von Nan hatte ihn durcheinandergebracht. Er wollte es sich nicht anmerken lassen, aber seine Bewegungen, nervöser als sonst, verrieten es.
    »Ich kann ihr nicht böse sein … Wenn Menschen verschwinden, glauben die, die sie lieben, lange Zeit, dass sie es geschafft haben, nicht zu sterben.«
    Er kam mit zwei vollen Tassen zurück und stellte sie auf den Tisch.
    »Das Meer müsste seine Toten zurückgeben. Man müsste sie berühren, sie sehen können! Finden Sie es abwegig, was ich sage?«

    »Nein.«
    Er setzte sich wieder mir gegenüber.
    »Vielleicht ist es bei ihr etwas anderes …«, überlegte ich.
    Er sah mich an.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Vielleicht wartet sie auf jemanden, den sie gekannt hat und der weggegangen ist.«
    Ich schaute auf.
    »Jemand, der lebt … Ein Junge, den Max Däumling nennt.«
    Er dachte darüber nach.
    Einen Augenblick später hielt ein Auto vor dem Haus, und drei Personen stiegen aus. Es war der Notar von Beaumont, der Interessenten mitbrachte.

L ambert und ich trafen uns am frühen Abend wieder. Er ging am Rand der Felsen vor dem großen Kreuz der Vendémiaire spazieren. Ich saß dort.
    Max war sehr weit auf die Mole hinausgegangen, ich beobachtete seine große, schwankende Gestalt, die sich schaukelnd in Richtung Semaphor entfernte.
    Als Lambert zu mir kam, zeigte ich ihm Morgane, die weiter unten in der Sonne lag. Max hatte sie angesehen, sicher lange, zu lange, und weil er es nicht mehr ausgehalten hatte, sie anzusehen, war er geflohen.
    Er würde sich hinter dem Semaphor verkriechen, in den Erdlöchern, die Grotten glichen.
    Lambert heftete die Augen an mein Fernglas. Er sah Max an. Er sah auch das Meer an, in Richtung der Inseln.
    »Ist Ihr Haus verkauft?«, erkundigte ich mich.
    »Ich weiß nicht …«
    Er antwortete in gleichgültigem Ton.
    »Haben Sie im Moment etwas Bestimmtes vor?«
    Das hatte ich. Ich war sogar im Verzug. Ich sagte es ihm.
    Es gab Vögel, die früher Zugvögel gewesen waren und jetzt nicht mehr. Andere, die früher La Hague nur überflogen hatten, und jetzt hier Halt machten. Ich wollte erforschen, warum es solche
Veränderungen gab. Ich hatte bereits einige Vögel beringt, aber das hatte nicht ausgereicht. Ich musste noch mehr Beobachtungen anstellen und alles sauber notieren. Drei Tage schon war ich im Verzug. Bald würden wir weitere Vögel beringen.
    Lambert hörte mir zu und starrte dabei mit dem Fernglas auf den Leuchtturm. Er betrachtete ihn mit unendlicher Aufmerksamkeit.
    »Wir hätten zusammen essen gehen können … Es gibt ein Restaurant in Jobourg, Les Bruyères, dort soll es gut sein.«
    Ich sah ihn an.
    »Es wird regnen«, sagte ich und zeigte zum Himmel.
    Er richtete das Fernglas auf das Semaphor. Max war weit weg, fast nicht mehr zu erkennen.
    Er lächelte.
    »Das hat meine Mutter auch immer gesagt, wenn sie nicht dahin wollte, wohin mein Vater wollte. Ich weiß nicht, ob sie wirklich an den Regen glaubte oder einfach nur allein sein

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