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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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verschwand unter dem schwarzen Rock.
    Monsieur Anselme kam noch näher an mich heran.
    »Haben Sie diese Naht gesehen? Stellen Sie sich vor, sie sagt Ja …«
    Eine Nachbarin, die gekommen war, um zu helfen, verteilte den Schaumwein, den sie großspurig für Champagner ausgab. Ich nahm ein Glas.
    Er konnte Morgane unmöglich einen Antrag gemacht haben.
    »Es ist genau einhundertneunundzwanzig Tage her, also etwas mehr als dreitausend Stunden, genau dreitausendsechsundneunzig«,
sagte er, während er einen Blick auf die Uhr warf.
    »Etwas weniger, denn es war siebzehn Uhr … Warum sehen Sie mich so an.«
    »Nur so.«
    Morgane sprach immer noch mit Lambert.
    Monsieur Anselme leerte sein Glas.
    »Erstaunlicher Geschmack«, bemerkte er und verzog hinter vorgehaltener Hand das Gesicht.
    Jemand stellte die Musik lauter. In ihrem Sessel fing die Mutter an, in die Hände zu klatschen. Wie lange hatte sie sich nicht mehr amüsiert? Sie versuchte zu singen, dabei lief ihr der Sabber aus dem schiefen Mund. Kaum wiederzuerkennen war sie.
    Monsieur Anselme drehte sich um und stellte sein Glas ab.
    »Ich habe gehört, als Lili geboren wurde, habe Théo Wache im Leuchtturm gehabt. Er habe seine Zwei-Wochen-Schicht zu Ende gemacht, als ob nichts wäre. Manche sagen, für die Geburt eines Kalbes wäre er gekommen, aber nicht für sein Balg.«
    Er lächelte der Frau des Briefträgers zu. Wie er jeder Frau zulächelte.
    »Diesen Lambert, lieben Sie ihn nicht zu schnell … Das Begehren, wissen Sie, dieses Bedürfnis, es zu befriedigen, und das Bedauern, dass es befriedigt wird …«
    Er sah mich fragend an.
    »Was finden Sie an ihm? Er ist gewöhnlich …«
    Darüber musste ich lachen, über diesen fast eifersüchtigen Ton.
    Kurz danach ging ein Raunen durch den Saal, und alle klatschten. Die kleine Bachstelze trug das Geschenk für Max herein, aber das Paket war viel zu groß für sie, sie verschwand dahinter. Max wurde rot, er trat von einem Fuß auf den anderen.
Er sah sich um und hätte am liebsten alle umarmt, schließlich nahm er die Kleine in den Arm und drückte sie ganz fest.
    »Das ist die große emotionale Gedrücktheit«, gestand er schließlich und rieb sich die Augen.
    »Du kannst es aufmachen«, sagte Lili und stellte das Paket vor ihn hin.
    »Seine Mutter soll auf einer Weide entbunden haben. Mit einer Kuh. In einer Vollmondnacht. Die Kuh bekam ihr Kalb«, sagte Monsieur Anselme und sah Max an.
    »Seine Mutter hat ihre Frauenaugen in den Blick des Tieres versenkt und dann ihren Sohn geboren. Der Tierarzt, der gekommen war, um der Kuh zu helfen, hat auch seiner Mutter geholfen. Beiden gleichzeitig. Er ist von einem Bauch zum anderen gegangen. Irgendwann wusste er nicht mehr, bei wem er gerade zugange war.«
    Ich zuckte die Schultern. In ihrem Sessel stopfte sich die Mutter alles Essbare in den Mund, was vor ihr stand.
    Max zerriss das Papier und holte das Radio hervor. Die Jugendlichen pfiffen. Lili köpfte neue Flaschen. Und Monsieur Anselme sprach weiter.
    »Max wurde als Erster geboren. Dann hat der Tierarzt das Kalb herausgeholt.«
    Morgane ging zu Max. Ihre Hand näherte sich seinem Gesicht.
    »Das ist dein Geschenk«, sagte sie.
    Max lächelte.
    Ein Streicheln.
    Er schloss die Augen.
    »Ich bring dir Blumen«, sagte er plötzlich, voller Hoffnung, dann streckte er die Hand nach ihrer Brust aus. Alle warteten. Lili ging auf die beiden zu und schob ihn weg.
    »Das ist dein Geburtstag, nicht ihrer.«

    Max schüttelte den Kopf. »Die Blumen …«, sagte er und wollte sofort losgehen, um welche zu besorgen. »Der Friedhof ist gleich nebenan!«
    »Das kann bis morgen warten«, sagte Lili und zeigte ihm, wie dunkel es hinter dem Fenster war.
    Max machte den Mund zu.
    Morgen, das war weit weg.
    Lili zog ihn am Ärmel und führte ihn zu seinem Radio zurück. Der Briefträger hatte einen Sender gefunden. Es rauschte noch, aber man hörte auch Musik. Morgane lehnte sich wieder an die Wand.
    Nachbarn gingen.
    Monsieur Anselme erzählte mir von einem Baum, der auf dem Weg hinter dem Semaphor stand. Er wollte mit mir dorthin gehen und ihn ansehen. Es sei ein Baum, der direkt am Meer wachse und den Prévert geliebt habe. Prévert, erzählte er, hätte ihn ein paar Wochen vor seinem Tod angerufen, um zu fragen, ob der Baum noch blühen würde. Sein Atem wäre schon entsetzlich anzuhören gewesen. Er war im Frühjahr gestorben, als der Baum geblüht hatte. Er blühte noch immer.
    Der Kuchen wurde aufgetragen, drei Etagen,

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