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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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mit einer rosa Creme überzogen. Kerzen steckten in der Creme. Max’ Name war mit Schokolade geschrieben. Als die Mutter das sah, stand sie auf, klemmte sich hinter ihre Gehhilfe und stapfte los, den Blick starr auf den Kuchen gerichtet. Es kam nicht jeden Tag vor, dass sie sich so den Bauch vollstopfen konnte. Max pustete die Kerzen aus, und alle applaudierten. Man hörte das Radio nicht mehr, aber die Kleine tanzte weiter.
    Lili schnitt den Kuchen an.
    Lambert ging.
    Die Mutter streckte die Hand aus, sie berührte den Kuchen fast. Mit offenem Mund. Das Gebiss darin war verrutscht.

    Lili zuckte die Schultern. »Morgen gibt’s Porreesuppe!«, sagte sie.
    Alle lachten.
    Plötzlich, während alle lachten, ging die Tür auf. Es geschah gleichzeitig – das Lachen und das Quietschen der Tür. Die Köpfe drehten sich, und wer gelacht hatte, verstummte. Auch die Unterhaltungen. Nan stand in der Tür. In ihrem schwarzen Kleid. Sie hatte ihre Haare gelöst, als gäbe es ein Unwetter.
    Sie sagte nichts.
    Sie betrat den Raum. Das Gesicht erstarrt. Ihr weißes Haar hing strähnig herunter. Jemand stellte die Musik aus.
    Monsieur Anselme nahm mich sanft am Ellbogen.
    »Endlich kommt mal ein bisschen Leben in die Bude.«
    Sie hatte ein kleines Päckchen in der Hand.
    »Das ist für dich«, sagte sie und ging auf Max zu.
    Das Päckchen war in blaues Papier gehüllt.
    Max lächelte. Er sah uns alle an und zeigte uns das Päckchen.
    Er drückte Nan an sich, legte seine großen Arme um sie, er küsste sie. Erst danach öffnete er das Päckchen.
    Darin war eine Wollmütze, mit Max’ Namen in gestickten roten Buchstaben und einem Schiffsanker.
    »Eine Fischermütze«, sagte er und zeigte auf den gestickten Anker.
    Er war glücklich. Er lachte. Er setzte die Mütze auf und sah sich sein Gesicht im Spiegel an.
    »Das ist ein sehr schönes Geschenk.«
    Er riss die Augen weit auf und sah sich nach einem Teller um, um ein Stück Kuchen draufzulegen. Auch ein Glas Wein füllte er. Er wollte Nan ebenso viel anbieten wie den anderen. Vielleicht mehr. Während er den Teller füllte, kam die Mutter näher. Die beiden Frauen musterten sich.

    Monsieur Anselme flüsterte in mein Ohr, ohne sie aus den Augen zu lassen: »Ehefrau oder Geliebte, welche wären Sie lieber gewesen?«
    »Was meinen Sie?«
    Er überlegte, während er die beiden Alten weiter beobachtete.
    »Ehrlich gesagt sehe ich Sie weder als Ehefrau noch als Geliebte … In diesen gesellschaftlichen Konventionen fühlen Sie sich zweifellos ebenso wenig zu Hause wie ich.«
    Er legte die Hand auf meinen Arm.
    »Wir beide bleiben immer am Rand.«
    Die Alten standen voreinander. Wie zwei Monster, die aus dem Wasser gestiegen und hier gestrandet waren, bereit zum Kampf. Zwei Verrückte, vom Hass geleitet. Ringsum herrschte Stille. Niemand rührte sich mehr.
    »Wenn du verreckst, geh ich tanzen«, zischte die Mutter schließlich.
    Sie waren zu alt für Schläge. Nicht zu alt für Bosheiten.
    Nan zuckte die Schultern.
    »Das wirst du nicht können …«
    Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie sah die Mutter an.
    »Das wirst du nicht können, denn du wirst vor mir krepieren.«
    Dann verließ sie den Raum. Man konnte ihre Gestalt noch einen Moment lang auf der Terrasse sehen.
    Lili nahm Max den Teller aus der Hand. Sie nahm ihm auch die Mütze ab.
    »Du bist nicht auf deinem Boot!«, sagte sie.
    Jemand machte die Musik wieder an.
    »Auf die Freundschaft!«, brüllte Lili und hob ihr Glas hoch.
    Die Gläser wurden gefüllt. Andere wurden geleert.

    »Monsieur Anselme …«, sagte ich. »Ihre Hand auf meinem Arm … Sie tun mir weh.«
    Er nahm sie weg.
    »Oh, ja, entschuldigen Sie.«
    Die Mutter wackelte mit dem Kopf. Der Briefträger half ihr, sich wieder hinzusetzen. Er brachte ihr die große Marzipanblume, die ganz oben den Kuchen dekoriert hatte. Sie sah sie an und zitterte, in den Augen noch Verwirrung. Ihr Gesicht war blasser als sonst.
    Max bat um Aufmerksamkeit. Er wollte sich bei allen bedanken.
    Und das sagte er: »Ich verkünde ein großzügiges Danke an alle.«
    Er erklärte, dass sein Boot bald fertig sein würde und dass er rausfahren würde, um den Heringshai zu fischen. Alle hatten sich Max zugewandt. Ich ging zur Mutter, setzte mich neben sie und nahm ihre Hand. Sie war unangenehm kalt.
    Bei der Berührung hob die Mutter den Kopf. Ihre Augen waren blutunterlaufen, ihre Pupillen glühten, als hätte sich alles Leben dort gesammelt, in diesem winzigen Raum.
    »Sie ist eine

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