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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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zu. Monsieur Anselme auch. Lili brachte den Tee für Monsieur Anselme. Sie stellte ihn auf den Tisch.
    Er sagte: »Ich erinnere mich an Ihre Mutter, manchmal habe ich ein paar Worte mit ihr gewechselt, hier, auf der Straße, und auch am Kai, wenn sie Ihren Vater rausfahren sah.«
    Er trank einen Schluck Tee, sprach dann von der Macht der Männer.
    Von der der Frauen.
    Lambert sah mich an. In seinen Augen waren helle Lichter, wie kleine, zerplatzte Sterne.
    »Und Sie, was denken Sie?«
    »Ich glaube, dass … dass die Macht, Kinder zu gebären, sie stärker macht.«
    Er trank einen Schluck Wein.
    »Hatten Sie eine gute Abiturnote in Philosophie?«
    »Ich glaube …«
    »Glauben Sie, oder sind Sie sich sicher?«
    »Ich bin mir sicher.«
    »Ich hatte das Thema verfehlt …«
    Er lächelte.

    Sein Vater war schon lange tot, als er Abitur gemacht hat. Als ich daran dachte, wurde ich rot. Wenn ich rot werde, bekomme ich Flecken am Hals. Ich spürte, wie es brannte. Davon errötete ich noch mehr.
    Er legte die Finger auf den Rand seines Glases. Er lächelte noch, aber nur noch schwach.
    »Ich weiß nicht, ob mein Vater jemals das Thema verfehlt hat. Sicher, ja, bestimmt … Das passiert jedem mal.«
    »Was war Ihr Vater von Beruf?«, fragte ich.
    »Philosophielehrer.«
    Er schüttete Erdnüsse in seine Hand.
    »Er war immer bei seinen Büchern. Ich erinnere mich nur sehr schwach an ihn.«
    Morgane kam zu uns.
    »Störe ich euch?«
    Lambert nickte, und Monsieur Anselme rutschte, um ihr Platz zu machen.
    »Schon in Ordnung«, antwortete ich.
    Sie wühlte in der Schublade am Tisch, holte ein Holzköfferchen mit einem Brettspiel mit kleinen Plastikpferden hervor und schob es zu Lambert.
    »Oder spielen Sie lieber das Gänsespiel?«
    Wir sahen uns an. Sie fing eine Patience an, ohne sich weiter um uns zu kümmern, vier Siebenerreihen, sie drehte die Karten eine nach der anderen um. Das erste Spiel verlor sie.
    Monsieur Anselme liebkoste sie mit Blicken. Er bestellte vier Gläser Wein, um bleiben und sie noch länger ansehen zu können.
    Lambert hielt mit dem Finger die Tropfen des kondensierten Wassers auf, die an seinem Glas hinunterflossen. Morgane warf ihm einen Blick zu.
    »Anscheinend geht’s dir gar nicht schlecht hier?«

    Er antwortete nicht.
    »Wir wären zu viert, wir könnten Tarot spielen …«, redete sie weiter. »Du kannst doch spielen?«
    »Schulerinnerungen.«
    Sie verteilte ihre Karten wieder und fragte ihn, ob es ihn nicht störe, dass sie ihn duze. Er antwortete, dass es ihm völlig egal sei.
    Sie sprach weiter mit ihm, während sie die Karten spielte.
    »Lambert … Gab es da nicht einen in der Bibel, der so hieß … Das Kind ging voran, und der Hund folgte ihm nach  … Lambert von Assisi?«
    Lambert lächelte.
    »Das ist Franz, der Heilige Franz von Assisi.«
    »Der Heilige Franz, ja, kann sein.«
    »Nicht kann sein, sicher.«
    Er stellte die beiden Pferdchen auf das Spielbrett und würfelte.
    »Bist du Lehrer?«, fragte sie.
    »Man muss kein Lehrer sein, um das zu wissen.«
    Sie verzog schmollend das Gesicht.
    Er setzte sein Pferdchen und gab mir den Würfel. Ich würfelte. Der Würfel landete an der Kante des Aschenbechers – eins oder sechs.
    Ich würfelte erneut.
    »Wenn es eine Sechs ist, würfelt man nochmal, und einen Würfel, der rollt, darf man nicht anhalten«, sagte Morgane, ohne aufzusehen.
    Monsieur Anselme stand auf. Wir spielten für uns. Er war überflüssig. Er verabschiedete sich.
    »Chelone, Sie verstehen …«
    Er hatte seinen Wein nicht getrunken.
    Morgane zuckte die Schultern. Sie teilte die Karten in zwei
Stapel, nahm sie in beide Hände und ließ sie ineinanderfallen. Dann klopfte sie mit dem Stapel auf den Tisch.
    »Na, habt ihr Lust auf Tarot? Raphaël spielt gut. Raphaël ist mein Bruder«, erklärte sie Lambert. »Er ist ein großer Bildhauer.«
    Sie legte die Karten ins Schubfach. Stand auf und zog ihre Jacke an.
    »Gehen wir?«

M organe öffnete die Autotür und ließ sich auf den Beifahrersitz des Audi fallen. Sie steckte den Kopf ins Handschuhfach und wühlte in den CDs – Lavilliers, Beatles, Julos Beaucarne …
    »Beaucarne, wer ist das?«
    Sie legte die CD ein. Schon bei den ersten Tönen verzog sie das Gesicht. Sie legte Lavilliers ein und drehte voll auf. Der Abend brach herein. Der Vollmond schien aufs Meer. Um Mitternacht würde es taghell sein. Es heißt, dass die Mondnächte die Körper der Frauen verändern. Dass sie sie öffnen. Sie von innen

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