Die Brandungswelle
heraus leeren. Das hatte ich erlebt, mit dir. Ich sah Morgane und Lambert an. Ich hätte die beiden davonfahren lassen sollen. Damit sie ihren Mond lebten. Ich hob den Kopf. Kreuzte für einen Moment seinen Blick im Rückspiegel.
Auf der Rückbank lag seine Jacke. Ich strich mit der Hand über den Kragen. Ich wusste nicht, ob er es sah.
Kurz darauf waren wir am Hafen. Er fuhr langsam. Morgane wartete nicht, bis er geparkt hatte, um auszusteigen. Sie rannte los. Wollte Raphaël Bescheid sagen.
Es fing an zu regnen.
Das Scheinwerferlicht strahlte auf die Regenstreifen. In Raphaëls Küche brannte Licht. Auf der Wiese hinter dem Gasthof
bereiteten sich die Kühe auf eine Nacht im Freien vor. Ich sagte etwas darüber, ich weiß nicht mehr was.
Lambert holte die CD heraus, steckte sie in die Hülle.
»Gehen wir?«
»Gehen wir«, antwortete ich.
Eine Fledermaus, offenbar orientierungslos, flog gegen das Auto, ich verstand nicht warum.
Wir spielten die halbe Nacht in Raphaëls Küche Tarot. Wir aßen Sandwiches, tranken Wein.
Wir rauchten auch.
Am Morgen fuhr Lambert nach Hause.
Morgane sagte, dass er davor in Raphaëls Atelier gewesen sei, dass er lange dringeblieben sei, ganz allein. Als er rausgekommen sei, habe er nichts gesagt. Er habe einen letzten Kaffee getrunken und sei dann nach Hause gefahren.
Am nächsten Tag nahm ich Raphaëls Auto und fuhr nach Cherbourg. Ich kaufte in einem Laden zwei Kilo grüne Farbe. Sie mussten drei Töne mischen, um das Grün zu erhalten, das ich wollte: das Hopper-Grün. Ich hatte ihnen die Postkarte gezeigt. Ich kaufte auch eine Flasche Spiritus, um die Pinsel reinigen zu können.
Dann hob ich am Automaten Geld ab und kaufte im Supermarkt ein.
Zu Hause fing ich in der Ecke rechts vom Fenster an zu malern.
Ich strich eine ganze Seite der Wand. Um an die Decke zu kommen, musste ich auf einen Stuhl steigen.
Hochsteigen, runtersteigen, den Stuhl weiterrücken und wieder hochsteigen, das machte ich sehr oft.
Während ich malerte, fielen Farbtropfen auf die Zeitungen.
Wenn ich vom Stuhl stieg, trat ich jedes Mal in die Tropfen. Später sah ich, dass auf den Stufen Farbe war.
Fußabdrücke in Hopper-Grün.
Ich legte den Pinsel auf die Zeitung. Die Farbe trocknete. Ich bewahrte das Zeitungspapier auf, denn ich sagte mir, dass ich noch die anderen Wände streichen würde.
A bends war die Geburtstagsfeier von Max. Lili hatte gesagt, ab sechs Uhr würde ihre Tür allen offen stehen und es würde Musik geben. Als ich ankam, drehten sich die Platten schon, 45er, Claude François, Stone et Charden, Sheila.
Lili hatte Kuchen gebacken. Auf den Tischen standen belegte Brötchen. Sie hatte Blumentischdecken aufgelegt, Sträuße daraufgestellt und Kerzen in die Aschenbecher. Max war in Schlips und Kragen, den Anzug hatte er von Lilis Mann geerbt. Er war ihm zu groß, er wirkte etwas verloren darin. Aber das war ihm egal. Er sah uns alle hereinkommen, einen nach dem anderen, den Briefträger, den Pfarrer, die Nachbarn, er wollte niemanden verpassen. Auch Morgane war da. Und sogar die Dorfjugend. Alle hatten zusammengelegt, und Lili hatte ein Transistorradio gekauft, damit er auf seinem Boot Musik hören konnte.
Monsieur Anselme trug seinen Leinenanzug. Lambert stand neben der Tür. Er hatte nichts von Max’ Geburtstag gewusst. Er entschuldigte sich und wollte gehen, aber Morgane hielt seine Hand fest.
Der kleine rote Stein, den ich am Strand gefunden hatte, steckte in meiner Tasche. Ich drehte ihn zwischen den Fingern.
»Schöner Abend, was?«, sagte Monsieur Anselme und winkte kurz in Lilis Richtung.
»Wie ist denn Ihr Abend ausgegangen?«, fragte er, als er sah, dass Lambert da war.
»Wir sind zu Raphaël gefahren und haben Tarot gespielt.«
Er nickte.
Es wurden Witze erzählt, und wir erhoben alle das Glas auf Max’ Wohl. Monsieur Anselme beugte sich zu mir vor.
»Wissen Sie, dass ich Morgane einen Antrag gemacht habe? … Hat sie Ihnen nichts gesagt?«
»Was hätte sie mir sagen sollen?«
Er beobachtete weiter die Leute im Raum.
»Ich dachte, sie hätte mit Ihnen darüber gesprochen … Ich will sie heiraten.«
»Das meinen Sie doch nicht ernst?«
Er verschlang sie mit den Augen.
»Warum nicht?«
»Sie ist noch keine dreißig!«
»Aber im Juli.«
Ich warf einen Blick zu Morgane hinüber. Sie sprach immer noch mit Lambert.
Sie trug Netzstrümpfe, deren verstärkte Fersen aus den Schuhen hervorsahen. Vom Knöchel lief eine Naht die Schenkel hoch und
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