Die Brandungswelle
Diebin … Deswegen ist sie ins Haus gegangen.«
Ich ließ ihre Hand los, aber sie hielt mich fest. Sie zeigte auf das Haus gegenüber, neigte ihren Kopf zu mir und sagte:
»Dahin ist sie gegangen, nachts … Sie hat das ganze Spielzeug gestohlen.«
»Sprechen Sie von Nan?«
»Aber niemand weiß, was sie damit gemacht hat! Niemand … Ich habe gesehen, wie sie das Spielzeug in ihren Armen weggetragen hat, so hat sie es gehalten.«
Sie legte die Arme vor den Bauch.
Ein unangenehmes Pfeifen kam aus ihrer Brust.
»Was sollte sie denn damit anfangen?«, fragte ich.
»Sie hat im Haus der Toten gestohlen, nach dem Unglück, als das Boot gekentert ist.«
Ihre Stimme war zu einem rauen Murmeln geworden. Sie sprach schnell, ich verstand nicht alles, was sie sagte. Wenn Nan das Spielzeug geholt hatte, dann vielleicht für die Kinder aus der Zuflucht .
Das sagte ich zur Mutter.
Sie runzelte die Stirn. Sie kratzte mit dem Fingernagel auf dem Holz des Tisches. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
»Das ist was andres …«
Sie strich sich mit der Hand über die Stirn, mehrmals, als versuchte sie sich an etwas zu erinnern, das ihr entfallen war. Immer wieder. Aber sobald sie im Begriff war, es wiederzufinden, verschwand das Bild. Sie fing an, sich aufzuregen.
Lili bemerkte es. Sie kam zu uns.
»Was ist los?«
Sie sah das Gesicht ihrer Mutter an. Den fast leeren Blick. Die Mutter stammelte unverständliches Zeug. Sie versuchte die Erinnerung an das wiederzufinden, was sie vergessen hatte. Ich weiß nicht, was Lili verstanden hatte, aber in dem Blick, den sie auf mich richtete, spürte ich den Vorwurf. Ich entschuldigte mich und ging zu Monsieur Anselme zurück.
»Probleme?«, fragte er.
»Nein, nichts, alles in Ordnung.«
Max hielt immer noch seine Rede. Seine Worte erreichten mich wie aus der Ferne. Ich dachte an das, was die Mutter zu mir gesagt hatte.
Max erklärte, dass er sich bei der Farbe der Kabine noch nicht zwischen Weiß und Blau entscheiden könne, aber das Boot habe schon einen Namen, Marie-Salope . Max fand, dass es ein schöner Name sei, und er wolle ihn nicht ändern. Er meinte auch,
dass er jedem von uns einen Zahn schenken müsse, einen Zahn vom ersten Hai, den er töten würde.
Er versprach es.
Als ich mich verabschiedete, war Lili immer noch bei ihrer Mutter. Sie starrte mich an. Ich sah es, als ich mich umdrehte.
D ie kleinen Esel kamen immer mit dem schönen Wetter. Niemand wusste, wann oder auf welchem Weg, aber man wusste, dass sie wiederkommen würden.
Nan erwartete sie. Wie jeden Nachmittag saß sie auf dem Stein, an dem sich die vier Wege trafen. Ihr Haar war zu einem schweren Zopf geflochten, der am Ende von einem schwarzen Samtband zusammengehalten wurde. Der Stein, auf dem sie saß, wirkte, als sei er ein Teil von ihr. Ihr Sockel.
Als ich ankam, stand die kleine Bachstelze bei ihr, sie schlug fröhlich auf eine Papptrommel. Die Trommel war zerrissen. Sie spielte trotzdem.
Die Esel kamen über einen Weg im Landesinnern. Manche sagten, sie seien hinter der Pointe du Rozel an der Küste entlanggegangen, man habe sie das Dorf Sotteville durchqueren sehen und dann mehrere Kilometer entfernt bei den großen Dünen von Biville wiederentdeckt. Sie hatten einige Tage in den Sümpfen verbracht, und jetzt waren sie da.
Die alte Nan spürte ihre Ankunft, noch bevor sie sie sah. Den Geruch in der Luft, ihr Fell, den Schweiß. Sie hörte das Hämmern auf der Erde, wie ein fernes Grollen, das langsam näher kam.
Als sie aufstand und ein paar Schritte an der Straße entlangging,
ließ die Bachstelze ihre Trommel im Gras an der Böschung liegen. Sie rannte bis zum Ende der großen Wiese.
Die Esel waren da. Das Leittier kam zuerst, gefolgt von den anderen. Kinder liefen herbei, und mit ihnen Leute aus dem Dorf. Sie brachten Wasser in Eimern, Mehl und Heu.
Ein Pferd war bei den Eseln. Es humpelte. Eine Verletzung am Hinterbein.
Als es an Nan vorbeilief, grub sie ihre Hände in die dicke raue Mähne. Das Pferd war sehr schön. Ich fragte mich, wie es den ganzen Weg geschafft hatte, ohne dass jemand es eingefangen hatte.
Nan sagte, dass Pferde manchmal das Bedürfnis haben zu wandern. Sie sah mich an.
»Vielleicht gehört dieses Pferd den Feen …«
Hatte sie wirklich den Diebstahl begangen, dessen die Mutter sie beschuldigte? Und wenn ja, wieso?
Zank unter Alten, Dorfzank. Frauen, die denselben Mann lieben.
»Die Feen sind so klein, dass sie sich zum Reiten an die Mähne
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