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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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uns stets für Anhänger der Gegenseite; selbst die Kaufleute glauben, dass wir nichts anderes als Wegelagerer darstellen. Wir sind nur zu zweit, mein Junge, und wie viel Angst sie auch vor dem Strom haben, vor uns haben sie keine, und stärker als du und ich sind sie allemal. Also singen wir ihre Liedchen und tun so, als wären wir geehrt, sie auf unserer Fähre zu haben.«
    »Hast du dich ihm gebeugt?«
    »Selbstverständlich nicht. Ich war ein Halbwüchsiger, ich hielt mich für den Stärkeren, was den Grips und das Herz anging. Also sagte ich ihm, dass es feige sei, immer nur nachzugeben, und dass es eine Frage der Ehre sei, gegen einen Widersacher aufzubegehren, selbst wenn er stärker als man selbst wäre, und was man so alles von sich gibt, wenn man die irrige Meinung gefasst hat, man hätte verstanden, wie die Welt funktioniert. Mein Vater sagte nicht viel dazu, aber am nächsten Morgen, als am jenseitigen Ufer eine Gesellschaft auf uns wartete, sprang er plötzlich von der Fähre ins Wasser, schwamm zurück und rief mir zu: Wenn es für dich eine Frage der Ehre ist, mein Junge, dann miss dich jetzt mit einem Stärkeren. Er meinte natürlich den Strom. Der Po scheint langsam und träge zu fließen, wenn man an seinem Ufer steht, aber hinter dieser Langsamkeit steckt seine wahre Kraft. Ich arbeitete wie ein Verrückter am Gierseil, um die nötige Geschwindigkeit zu erhalten, aber die Fähre stellte sich immer mehr quer, die Seile spannten sich, und schließlich hing sie mitten im Fluss, das Deck halb unter Wasser, tanzend und schlagend. Ich hatte nicht mehr genügend Kraft, die Fähre gegen den Widerstand des Wassers auch nur einen Zoll weit zu bewegen, und ich war überzeugt, dass ich nicht nur die Fähre ruinieren, sondern auch noch ertrinken würde. Die Leute drüben lachten wie blöde und halfen meinem Vater schließlich, mich von Land aus ans Ufer zu gieren. Ich rannte weg, sobald ich festen Boden unter den Füßen hatte, und versteckte mich zwei Tage im Schilf. Schließlich verstand ich, was mein Vater mir damit zu erklären versucht hatte und was der Fluss, dem ich die zwei Tage lang unverwandt zusah, mir mit jeder Welle, die an mir vorbeischwappte, demonstrierte: Irgendwann trifft man auf einen Stärkeren, und alles, was man tun kann, ist, sich um sich selbst zu kümmern und zu hoffen, dass man sich nicht zu lächerlich macht, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.«
    Lorenzo wusste nichts darauf zu antworten. »Du kannst nicht den Fluss und die Menschen miteinander vergleichen«, sagte er schließlich.
    »Natürlich nicht. Der Strom hat es nicht persönlich auf dich abgesehen; er vernichtet dich nur, wenn du nicht schlau genug bist, dich zum rechten Zeitpunkt von ihm fernzuhalten.« Corto stand plötzlich auf, ging die zwei Schritte zum Rand des Bachs, bückte sich und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser. Er trank und kostete dem Geschmack nach. »Das Wasser des Po schmeckt nach dem Land«, sagte er. »Der Po hat das Land hier geschaffen und baut es beständig um. Hier nimmt er den Herren was weg, dort wirft er den Bauern ein neues Stück Land vor die Füße. Der kleine Bach hier fließt zum Po. Auch sein Wasser schmeckt nach dem Land, so wie jeder Wasserlauf, der in den Strom mündet, aber erst der Strom selbst vereinigt alles miteinander und macht es vollständig.«
    Lorenzo trat hinter ihn. Er konnte die Arme um Corto schlingen und ihn nach vorn zwingen und im Bach ertränken, er konnte ihm die Kehle durchschneiden, er konnte ihn hier und jetzt beseitigen, niemand im Dorf würde es hören, und dann konnte er sich Clarice schnappen und mit ihr zusammen fliehen. Er sah auf Corto hinab und hörte die Stimme in sich rufen: Versager! Corto richtete sich halb auf, die Hände zu einer Schale zusammengelegt, eine kleine Lache Wasser schimmerte darin; Lorenzo hielt unwillkürlich die eigenen Hände darunter, das Wasser floss aus Cortos Händen in seine hinein, und Lorenzo trank. Corto musterte ihn.
    »Schmeckt nach gar nichts«, sagte Lorenzo.
    Corto lächelte nachsichtig. »Du bist nicht zu mir gekommen, um mir vorzuschlagen, das Dorf zu befestigen und die Dörfler zu verteidigen«, stellte er dann fest.
    Lorenzo schüttelte den Kopf.
    »Du willst mir vorschlagen, dass wir zusammen mit den Dörflern fortziehen.«
    Lorenzo schwieg, nicht wirklich verblüfft. Corto zuckte mit den Schultern. »Hier kommt zwar nicht so viel Wasser daher wie auf dem Strom, aber zum Nachdenken hat’s gereicht. Also ist mir klar

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