Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Verstecken im Schilf mir noch etwas verraten hat, was du nicht erzählt hast.«
    Corto wandte den Blick ab und betrachtete den Bach. Die Situation war bizarr: die Nacht, der Nebel, der die Geräusche und Gerüche konservierte – der entfernte Rauch der Feuer, der Schlammgeruch des Schilfwaldes, nasses Gras, das Wasser, feuchte Erde –, und sie beide am Ufer des Baches, wie zwei Freunde, die sich von den anderen entfernt hatten, weil sie sich etwas mitteilen mochten und dabei unter sich sein wollten. Unsichtbar war noch eine dritte Person dabei: Schwester Magdalena, die sowohl in Lorenzos Gedanken war als auch in Cortos Denken eine Rolle zu spielen schien, so oft, wie er sie erwähnt hatte. Ein seltsames Gefühl stieg in Lorenzo auf, eine Art Konkurrenzempfinden mit Corto um Schwester Magdalena, als spielte es eine Rolle, was sie über sie beide dachte oder was sie womöglich empfand; und mit dem Konkurrenzempfinden eine leise Angst davor, sich mit Corto messen zu müssen, wenn es um die Zuneigung von Schwester Magdalena ging. Lorenzo hörte sich selbst bei seinen Gedankengängen zu und fragte sich, ob er vollkommen verrückt geworden war.
    »Mein Vater war Fährmann«, sagte Corto. »Unser Haus stand abseits von der Fähre im Wald versteckt; neben der Fähre gab’s eine Hütte, in der mein Vater tagsüber hauste und auf Kundschaft wartete. Er hatte unser Haus selbst gebaut, obwohl die Hütte am Wasser besser gewesen wäre, aber er sagte, er wolle nicht erleben, dass jemand ihn zum Übersetzen zwingt, indem er seiner Frau oder seinen Kindern ein Messer an die Gurgel hält. Hier in dieser Gegend kommt jede Menge Volk durchgezogen: Spanier, Franzosen, Schweizer, Deutsche, die Truppen des Papstes, die Kaufleute aus den Städten … mein Vater war schwer beschäftigt, deshalb war unser Haus auch so mangelhaft gebaut. Das Erste, was mein Vater mir beibrachte, als ich alt genug war, ihm zur Hand zu gehen, war, die Fahnen und Wimpel zu lesen und zu erkennen, wer da am jenseitigen Ufer auf einen wartete oder wer gerade seine Pferde an die flache Stelle trieb, an der man auf die Fähre verladen konnte. Das Zweite, das er mir beibrachte, war in jeder Sprache ein Lied. Wenn wir mit den Spaniern auf der Fähre waren, sangen wir irgendwas auf Spanisch; mit den Schweizern was in Schweizerdeutsch und so weiter. Unseren eigenen Leuten erzählte mein Vater Witze. Wir hatten nicht viel zu beißen und sind jedem in den Arsch gekrochen, der auf unserer Fähre war und genug Schwerter hatte, um uns einzuschüchtern, aber es war eine schöne Zeit. Ich war am glücklichsten mit den Planken unter meinen Füßen, mitten auf dem Fluss. Wenn wir unsere Fuhre ans andere Ufer gebracht hatten und mein Vater die kleine Komödie vom tumben Fährmann und seinem einfältigen Sohn abschloss, winkte und lachte er ihnen hinterher und sagte dabei aus dem Mundwinkel: Adios, los Arschlochos, wenn es Spanier, und Auf Wiedersehen, ihr Arschlöchlis, wenn es Schweizer waren, und dann fühlten wir uns nicht mehr als arme Schweine, sondern als die, die das letzte Wort gehabt hatten.«
    Corto rupfte erneut Gras aus, doch anstatt es ins Wasser zu werfen, hielt er es in der Hand und zupfte daran herum.
    »Es gab natürlich auch schlechte Zeiten – wenn es tagelang nichts Warmes zu essen gab, wenn der Winterregen durchs Dach tropfte, wenn Hochwasser die Fähre zerstörte und Vater auf die Schnelle eine neue bauen musste. Wenn irgendwas über Bord fiel und der Eigentümer versuchte, meinen Vater dafür verantwortlich zu machen … Wenn eines meiner kleinen Geschwister starb … Dann bin ich zum Po gelaufen und habe mich im Schilf versteckt und der Strömung zugesehen, wie sie von Westen heranrollte und nach Osten davonzog, und habe darauf gewartet, dass mit all dem Wasser eine Idee zu mir herangetragen würde, wie es weitergehen solle. Einmal blieb ich zwei ganze Tage in meinem Versteck.«
    »Weshalb?«, fragte Lorenzo, als Corto schwieg.
    Corto lächelte. »Weil es so lange dauerte, bis endlich eine Idee angeschwommen kam. Das war, als ich alt und albern genug war, so etwas wie Stolz zu empfinden und das Gefühl zu entwickeln, dass unser Verhalten gegen meinen Stolz verstieß. Ich lehnte mich gegen meinen Vater auf und sagte, wir müssten uns für eine Seite entscheiden. Mein Vater sagte: Du bist ein Idiot. Ganz egal, welcher Kriegshaufen ankommt und die Fähre anfordert, sie hassen uns alle, weil sie auf uns angewiesen sind. Wer immer sie auch sind, sie halten

Weitere Kostenlose Bücher