Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
vier Tagen, dann würde sich Corto den Soldaten der nächstgelegenen Stadt oder des Papstes gegenübersehen, und er würde sich – mit all den Leuten am Hals – notgedrungen ergeben müssen. So lange, bis Corto und das Wolfspack am Galgen hingen, würde Lorenzo aber nicht bleiben. Er hatte genügend Legitimationen an seinem Körper versteckt, um sich als Abgesandter des Hauses Bianchi auszuweisen; selbst wenn man ihn zusammen mit den anderen gefangen nahm, würde es nur eine Frage von Stunden sein, bis er wieder frei und zusammen mit Clarice auf dem Weg nach Florenz wäre. Den Bauern wäre in jedem Fall geholfen; sie mussten lediglich ihre Hütten wieder aufbauen, die die Schwarze Schar dem Erdboden gleichmachen würde. Er wusste, dass seine Beweggründe denen gleich waren, die Corto dazu gebracht hatten, die Plünderer anzugreifen.
»Was sagen die Männer?«, fragte Corto, noch während Lorenzo an seinen Worten feilte.
»Die Männer? Wieso?«
»Ich führe diesen Haufen, aber das heißt nicht, dass niemand Vorschläge machen dürfte, wie’s weitergeht. Es gibt eine starke Fraktion dafür, hierzubleiben und entweder zu hoffen, dass all das Gerede um das Kommen der Schwarzen Schar Unsinn ist, oder zu hoffen, dass wir im Fall eines doch erfolgenden Angriffs siegen werden.« Corto schleuderte ein neues Bündel Gras ins Wasser und sah ihm mit schief gelegtem Kopf nach, wie es in die Nacht trieb. »Im Übrigen sind beide Hoffnungen eitel.«
»Du denkst, die Männer haben mich vorgeschickt?«
»Sonst schicken sie immer Verruca«, sagte Corto und grinste Lorenzo diesmal offen an. »Den Trottel der Kompanie.«
»Ich möchte dir einen Vorschlag unterbreiten.«
»Das ist mal was Neues«, befand Corto. Er musterte Lorenzo. »Wer hat ihn sich ausgedacht?«
»Du steckst in einem Dilemma, Corto«, sagte Lorenzo. »In dem Augenblick, in dem du die Dörfler gerettet hast, hast du auch Verantwortung für sie übernommen. Wenn du sie jetzt einfach im Stich lässt, wäre das, als wenn du deine eigenen Leute zurücklassen würdest.«
»Ich habe das Gefühl, ich höre Schwester Magdalena reden.«
»Wenn sie hier wäre, würde sie mir zustimmen.«
»Was ändert das daran, dass dein Argument falsch ist?«
»Es ist nicht falsch«, sagte Lorenzo und dachte: Nur das Motiv, warum ich es mit dir diskutiere, ist falsch. Er fühlte sich schlecht.
»Niemand hat Verantwortung für die Dörfler außer ihnen selbst. Niemand hat Verantwortung für irgendeinen anderen Menschen. Wenn jeder sich damit begnügen würde, sich um seinen eigenen Pelz zu kümmern und den Rest der Menschheit in Ruhe zu lassen, wäre die Welt ein geordneterer Platz.«
»Das ist es eben, was uns von den Tieren unterscheidet.«
»Gar nichts unterscheidet uns von den Tieren«, sagte Corto. »Wir haben vielleicht ein bisschen mehr Grips, das ist alles. Schwester Magdalena würde mir beipflichten – als Gott die Welt schuf, nahm er für die Tiere und für den ersten Menschen den gleichen Grundstoff. Er hatte ja auch nichts anderes zur Verfügung. Mag sein, dass er bei Adam etwas mehr Übung hatte, weil er zuvor schon die Tierwelt geformt hatte, doch der Unterschied ist gering.«
»Nein«, sagte Lorenzo. »Tiere können nur ihrem Geschick folgen. Ein Mensch kann sich entscheiden.«
»Entscheiden? Wofür? Ob er sich gleich vom Nächstbesten massakrieren lässt, oder ob er wartet, bis einer kommt, der ihm tatsächlich überlegen ist? Darauf läuft es nämlich hinaus: Man ist so lange Herr über sich, bis ein Stärkerer kommt, und wenn man Pech hat, ist schon der Erste, der daherkommt, stärker.«
»Warum bist du dann das Risiko eingegangen und hast die Dörfler gerettet, wenn du so denkst?«
Corto grinste. »Vielleicht, weil ich wusste, dass wir stärker waren?«
»Deine Melkkühe«, sagte Lorenzo. »Selbst, wenn du sie wirklich nur als das betrachtest anstatt als Mitmenschen, dann musst du trotzdem die Verantwortung für sie übernehmen. Ein Kuhhirte würde seine Herde auch aus der Gefahr führen, wenn er sie erkennt.«
»Wenn ich zum Hirten taugen würde, säße ich nicht hier«, sagte Corto.
»Wenn du nicht zum Hirten taugen würdest, säßen jetzt Georg Vogler und seine Leute hier, und es gäbe keine Dörfler mehr, über die sich irgendjemand Gedanken machen muss.«
»Warum hast du vorhin das mit dem Po gesagt?«
»Weil du mir erzählt hast, dass du in seiner Nähe aufgewachsen bist.« Corto musterte Lorenzo von der Seite. »Und weil die Sache mit dem
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