Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
geweigert, die Schicht aus Kalk und Lehm haften zu lassen. »Sag mir, was du siehst.«
Magdalena kniff die Augen zusammen. Der Schatten wirkte wie ein ungeschlachtes Kreuz … der Querbalken merkwürdig geschwungen … nein, es war kein Querbalken, das sah eher wie Flügel aus … sichelförmige Schwingen …
»Ein Falke«, sagte Magdalena. »Was für ein merkwürdiger Zufall.«
Die Äbtissin nickte. Sie drehte sich um und vollführte eine Geste, die den gesamten Kapitelsaal umfasste.
»Als ich hierherkam, waren alle Wände hier mit diesem merkwürdigen Zufall bedeckt – nur, dass es kein Zufall war, sondern eine Wandbemalung, die der Künstler anbringen ließ, der das ursprüngliche Fresko an der Stirnwand erschaffen hat. Vögel … Hunderte von Vögeln, die über die Wände flogen, aufwärts, abwärts, in alle Richtungen, ganz, wie es dem Künstler gefiel und wie es den Vögeln zu belieben schien. Ganz egal, was die Gemeinschaft hier drin verrichtete – die Vögel waren immer da und flogen umher. Wenn man die Hände zum Gebet faltete, breiteten sie die Schwingen aus; wenn man still saß, flatterten sie über ihren Wandhimmel; wenn man dem Schweigegebot folgte, schienen sie zu trillern und zu singen.« Die Äbtissin schob die Hände in ihre Ärmel und sah Magdalena an. »Als ich zur Oberin ernannt wurde, habe ich die Wände putzen lassen, um die Vögel zu überdecken. Sie gehören nicht hierher. Sie störten die Ruhe, wenn man sie nur anblickte. Dies ist ein Kloster, nicht der freie Himmel Gottes.«
Die Äbtissin schritt zu der Wand zurück, an der sich das Fresko befand, ohne Magdalena zum Mitkommen aufzufordern. Magdalena folgte ihr dennoch; sie wusste, dass die Äbtissin noch nicht fertig war.
»Sieh hierher«, sagte die Äbtissin und reckte sich, um auf eine Stelle im Fresko zu zeigen. »Was erkennst du hier?«
Magdalena kam es so vor, als sähe sie das Detail zum ersten Mal. »Da ist der Falke wieder«, rief sie.
Die Äbtissin nickte erneut. »Ein Falke … Das ist der Heilige Geist, mein Kind. Der Heilige Geist wird als Taube dargestellt. Du aber siehst einen Falken.« Sie zeichnete einen Segen in die Luft, und Magdalena senkte den Kopf. Die Worte hallten in ihr nach wie ein Fluch. Der Steinboden verschwamm vor ihren Augen, und nur die flache, tonlose Stimme der Oberin schnitt durch ihr Entsetzen. Wer hatte in wen hineingesehen? Sie fühlte, wie etwas in ihr zerriss, und gleich darauf die feuchte Wärme, die an ihren Schenkeln hinunterkroch wie ein Bündel Schlangen. »Leb wohl, Schwester Magdalena Caterina. Der Herr behüte dich in deinem neuen Heim, und der Heilige Geist verhüte, dass du wiederkehrst.«
Kapitel 5.
H unde«, sagte Antonio Bandini. »Zerlumpte, verwilderte, ausgehungerte, verrohte Bastarde von Hunden.« Er hob den Weinschlauch zum Mund, den Lorenzos Trupp mitgeführt hatte, und trank. Sein Gesicht war immer noch lehmfarben. »Kein schlechter Tropfen«, sagte er.
Lorenzo beobachtete ihn und die anderen, während er sich an seinem Sattel zu schaffen machte, den Gurt lockerte, mit der Hand darunterfuhr und nachprüfte, wie sehr sein Gaul schwitzte. Er zog die Hand seifig zurück. Es war nicht schlimmer, als den Umständen nach zu erwarten gewesen war. Das Pferd war ein Prachtstück aus dem Stall von Domenico Bianchi senior und würde noch eine ganze Weile durchhalten, bevor es auch nur müde wurde. Er tätschelte seine Kruppe und zog den Gurt wieder fest. Lorenzos Männer saßen und standen um Antonio Bandini herum und sogen jedes Wort von seinen Lippen.
»Das Wäldchen«, sagte Lorenzo. »Eine gute Rückendeckung, aber nur, wenn man sicherstellen kann, dass sich kein Feind drin aufhält.«
»Also bitte«, erklärte Niccolò, »kein vernünftiger Mensch auf der Welt konnte ahnen, dass die Schufte sich von dort anschleichen würden. Selbst mir wäre der Platz perfekt erschienen.«
»Ich lehnte ab, dort das Lager aufzuschlagen«, sagte Bandini. »Ich erklärte, dass ich mit den paar Männern das Wäldchen nicht sichern könnte. Selbst wenn wir es bei unserer Ankunft durchkämmten, könnte ich nicht garantieren, dass sich niemand im Schutz der Nacht dort anschleichen würde. Ein guter Platz zum Lagern, auf alle Fälle – wenn wir doppelt so viele Männer gewesen wären.«
»Ich habe Ihnen gesagt, dass wir zu spät kommen würden«, sagte Niccolò und starrte Lorenzo mit zusammengepressten Lippen an.
Lorenzo rollte die Decke auseinander, die hinter seinem Sattel festgebunden war,
Weitere Kostenlose Bücher