Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
hysterisch war wie ein Kleinkind.
Magdalena hob den Kopf und starrte zu den Gebäuden hinüber, von denen der tote Mann zu flüchten versucht hatte. Sie hätte allen Grund gehabt, noch hysterischer zu sein als Schwester Immaculata; sie konnte sich vorstellen, welcher Anblick sich in den stillen – zu stillen – Häusern und Hütten bieten würde, zu denen der Tote gehört hatte. Ihr Bauch verkrampfte sich. Die meisten Blutungen waren vorüber, aber die Wunde in ihrem Leib war noch frisch, und ihr Körper war so angespannt, dass sie schmerzte.
Die Mönche erhoben sich, machten das Kreuzzeichen; zwei von ihnen blieben neben dem Toten stehen, Bruder Girolamo kam zu den Waffenknechten. Für ein paar Augenblicke standen die vier Männer schweigend zusammen, vereint in der Zugehörigkeit zu ihrem Geschlecht. Magdalena spürte, wie ein Seitenblick sie streifte.
»Wir müssen nachsehen«, sagte Bruder Girolamo schließlich.
Ein erneuter Seitenblick fiel in ihre Richtung.
»Sie könnten noch da sein«, wandte der Scharführer ein.
»Dann hätten wir sie schon am Hals, oder nicht?«
»Wahrscheinlich.«
»Wir können den armen Teufel nicht mit bloßen Händen begraben. Dort in dem Gehöft werden sich Werkzeuge finden.«
Die Männer nickten.
»Außerdem müssen wir nachsehen, nicht wahr? Wir sind Christen, das ist das Mindeste, was wir tun können.« Magdalena hörte förmlich die unausgesprochenen Worte: und die, die wir dort vorfinden, ebenfalls begraben.
»Ich gehe mit Ihnen, Bruder«, sagte der Scharführer. »Ihr beiden bleibt hier und passt auf die ehrwürdigen Schwestern auf.«
»Danke.«
»Schließen Sie mich in Ihr Gebet ein, Bruder«, sagte der Scharführer und lockerte unwillkürlich den Kragen seines Wamses. Bruder Girolamo schritt zu Magdalena herüber.
»Ein schrecklicher Anblick, Schwester«, sagte er. »Ich verstehe, wie dir zumute ist. Die Welt ist nicht nur voller Sünde, sondern oft auch voller Gemeinheit.«
»Ich hätte auch gern für ihn gebetet«, hörte Magdalena sich sagen.
»Wir wollten dir und deinen Mitschwestern ersparen, in der Nähe des Toten zu sein.«
Magdalena deutete zu den Häusern hinüber. »Dort sind die anderen.«
»Die Menschen, die das getan haben, sind schon weg.«
»Ich meine: die anderen Opfer.«
Bruder Girolamo machte eine lange Pause. »Ja, aber das ist nicht …«
»Ich gehe mit«, sagte Magdalena.
»Wie bitte?«
»Zu den Häusern. Ich gehe mit euch und dem Scharführer nachsehen, ob es Überlebende gibt.«
»Meine liebe Schwester, das ist die Sache von …«
»Nenn mich nicht deine liebe Schwester!«, schrie Magdalena plötzlich. Bruder Girolamo zuckte zurück. »Das ist die Sache von Männern? Und wenn ihr dort drin auf eine Frau stoßt, die sie so oft vergewaltigt haben, dass sie nur noch aus zerrissenem Fleisch besteht und nichts sehnlicher wünscht als zu sterben? Wollt ihr sie dann als Männer trösten? Wenn dort ein Kind ist und wimmert, weil seine Mutter mit eingeschlagenem Schädel daneben-liegt und von den Fliegen aufgefressen wird, während das Kind verhungert und verdurstet, wollt ihr es dann als Männer auf den Arm nehmen und ihm etwas zu essen und trinken suchen?« Magdalena schloss den Mund, weil ihr bewusst wurde, dass sie in den höchsten Tönen gekreischt hatte. Tränen liefen ihre Wangen herunter. Das war die Welt, die ihren einzigen Zufluchtsort aus der stillen, demütigen Hölle des Klosterlebens darstellte?
»Wir könnten auch das«, sagte Bruder Girolamo würdevoll. »Mitgefühl ist nicht die Domäne des weiblichen Geschlechts.«
Magdalena starrte in das beschattete Gesicht unter der Kapuze. Wütend wischte sie sich die Tränen ab. »Verzeih mir, Bruder«, flüsterte sie erstickt.
»Komm mit«, sagte der Mönch. »Du hast recht mit allem, was du sagtest. Komm mit. Vielleicht kannst du wirklich helfen. Aber ich warne dich: Das dort drüben ist nicht nur eine Ansammlung von Häusern, in denen Tote liegen. Das ist eine der Pforten zur Hölle, und wenn du uns begleitest, wirst du einen kurzen Blick in die Fratze der ewigen Verdammnis werfen.«
Kapitel 8.
D en Spuren war leicht zu folgen gewesen. Die Angreifer bewegten sich scheinbar völlig sorglos, doch als es Lorenzo gelungen war, sie abseits der Straße zu überholen und sich zu verstecken, erkannte er, dass die Lässigkeit zum Teil auf einer klugen taktischen Planung beruhte. Dem Haupttrupp voran bewegten sich zwei Berittene mit mindestens zweitausend Schritten Abstand. Ihnen
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