Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
mit Immaculata im Eingang. Beide hatten ihren Habit vorne gerafft und transportierten etwas. »Sollen die Schwestern euch verraten, dass sie einen kleinen aufgelassenen Gemüsegarten gefunden haben, in dem noch ein paar vergessene Samen steckten und sich in Zwiebeln, Salat und Rettich verwandelt haben?« Sie grinste. »Wir haben geerntet.«
Immaculatas Blick fiel auf die leere Stelle. Ihr Kinn begann zu zittern. »Was ist mit ihm geschehen?«, flüsterte sie.
»Er ist weggegangen«, sagte Magdalena.
»Er ist tot.« Immaculatas Augen waren Wunden in ihrem Gesicht.
»Nein, ist er nicht«, erwiderte Magdalena ungeduldig.
Immaculata sagte nichts. Sie trat zu der leeren Stelle auf dem Boden, kniete dort nieder und ließ ihre Ernte aus ihrer gerafften Kutte herauskollern. Dann stand sie auf, strich sich den Stoff glatt und ging wortlos zwischen den Brüdern, Magdalena und Radegundis hinaus in die Abenddämmerung.
Radegundis legte ihren Fund ebenfalls ab. Sie folgte der jüngeren Schwester nicht nach draußen, doch Magdalena hatte das Gefühl, dass ein vorwurfsvoller Blick sie aus einem Augenwinkel traf. Auf dem Boden lagen pralle Zwiebeln, an denen noch die rötlich-braune, trockene Erde haftete, drei fast unterarmdicke, unverschämt weiße Rettiche und mehrere Salatstauden, die so ausgewachsen waren, dass sie eher wie fantastische Blumen wirkten, deren mächtige Blüten aus weißen, hellgrünen und dunkelgrünen Blättern bestanden. Sie würden heute Abend nicht hungrig zu Bett gehen müssen. Die Rettiche konnte man roh essen, die Zwiebeln konnte man kochen, und wenn man sie noch warm über den zerpflückten Salat schüttete, würde das den Geschmack zwar nur unwesentlich verbessern, aber man würde es essen können, und abgesehen davon steckte nirgends so viel Kraft für den Esser als in den festen grünen Blättern.
Radegundis brachte es auf den Punkt: »Er hat uns auch im Stich gelassen«, sagte sie. »Ob er nun davongelaufen oder von den Geistern geholt worden ist oder ob er sich in Luft aufgelöst hat, er ist weg, und wir sind noch da, und mit jedem Tag schmilzt unsere Gruppe weiter zusammen.«
»Vielleicht holt er Hilfe«, sagte Magdalena und kam sich lächerlich vor.
»Ich werde etwas suchen, worin wir die Zwiebeln kochen können«, erklärte Radegundis. Sie sah Magdalena gerade ins Gesicht: »Beatrice wird mir helfen. Du brauchst dich nicht zu bemühen, Schwester Magdalena.«
Sie ging hinaus. Beinahe erwartete Magdalena, dass sie sie mit der Schulter streifte, aber nichts passierte. Warum bin ich plötzlich an allem schuld?, fragte sie sich. Die Antwort hatte sie schon parat: Weil ich selbst mich schuldig fühle.
»Also gut«, sagte sie und sah an Bruder Girolamo und den beiden anderen Mönchen vorbei. »Niemand braucht mir zu erklären, dass wir heute nicht mehr aufbrechen können. Demnach bleiben wir eine zweite Nacht hier an diesem Ort, an dem wir schon die erste Nacht nicht hätten verbringen sollen. Also gut. Da ich beim Zubereiten des Abendessens nicht erwünscht bin, werde ich für die arme Seele des jungen Mannes beten und dafür, dass er heil dorthin kommt, wohin es ihn getrieben hat. Du und deine Brüder könnt euch ja anschließen, wenn ihr nichts Besseres zu tun habt, Bruder Girolamo.«
»Wir haben nichts Unrechtes getan«, sagte Bruder Girolamo. »Du brauchst uns gegenüber nicht diesen Ton anzuschlagen.«
»Tut mir leid«, sagte Magdalena und verbiss sich ein paar Tränen der Wut.
Bruder Girolamo raffte seine Kutte und kniete sich auf den Boden. Aus dieser Haltung spähte er zu Magdalena nach oben.
»Und du hast auch nichts Unrechtes getan, Schwester«, sagte er. »Dass wir hier sind und in dieser Lage …«, er hob den Rest des Astes auf, der noch von der Nacht halb verkohlt herumlag, und feuerte ihn mit einer schnellen Bewegung in eine Ecke. Ein graues, bepelztes Etwas mit langem Schwanz pfiff schrill und sauste ins Freie hinaus, »… ist die Schuld von keinem von uns. Betrachten wir es als eine Prüfung Gottes und freuen wir uns darüber, dass Er uns für wert erachtet, geprüft zu werden. Herr, wir danken Dir.« Er senkte den Kopf und begann zu beten, und Magdalena und die anderen knieten neben ihm nieder und taten es ihm gleich.
Niemand hatte in den Schuppen gesehen, der sich wie ein architektonisches Unglück an eine der Hütten lehnte und in dem ein erwachsener Mann gerade so aufrecht stehen und ausgestreckt hätte liegen können. Der Schuppen besaß eine Tür, die nur deshalb
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