Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
diesen Namen verdiente, weil sie die Funktion einer Tür erfüllte. Sie stand einen Spaltbreit offen. Vielleicht lag es daran, dass niemand sie geöffnet und in den Schuppen geblickt hatte – es sah so aus, als könne man hineinschauen, auch ohne sie zu öffnen, und was man sah, war Schwärze, die suggerierte, dass sich nichts darin befand.
Im Schuppen lehnte an einem Holzstapel eine menschliche Gestalt. Eigentlich lehnte sie nicht – vielmehr schien sie in der Luft zu schweben. Der Hosenboden berührte die Erde nicht, nur die Fingerspitzen der lose herabhängenden Hände streiften leicht darüber.
Die Gestalt war der dritte Klosterknecht, und dass er zu schweben schien, lag an dem Strick, der vor Kurzem noch von einem Balken im Stall gebaumelt war und dessen eines Ende in einer Schlinge auslief, in der der Hals des Klosterknechts steckte, während das andere Ende um einen Holzpfriem geschlungen war, der in einer Tragsäule des Schuppens steckte. Der Strick hielt ihn. Er war gerade lang genug gewesen, um die ihm zugedachte Aufgabe zu erfüllen. Die Fingerspitzen des Klosterknechts berührten zart den Boden.
Der Klosterknecht starrte mit weit offenen Augen zur Tür. Wäre sie weiter offen gewesen, hätte er direkt in den Stall hineinsehen können, wo Bruder Girolamo, Schwester Magdalena und Girolamos Mitbrüder knieten und für ihn beteten. Die Tür war nicht weit genug offen, aber das machte keinen Unterschied; dort, wohin die Bilder der Außenwelt drangen, die durch seine Augen fielen, war kein Leben mehr.
Der Klosterknecht war weit jenseits aller Gebete.
Am folgenden Morgen hatte das Wetter sein Versprechen wahr gemacht. Was außerhalb eines Kreises mit einem Radius von vielleicht zweihundert Schritten war, dessen Mittelpunkt der Betrachter bildete, lag hinter einer undurchdringlichen, trübe gleißenden Nebelwand. Die Linie aus Pappeln, Platanen und der einen oder anderen Kiefer, die die Straße markierte, kam aus dem Nichts und führte ins Nichts, lag selbst schon an der Grenze der klaren Sicht und hätte auch ein Phantom sein können. Es war kühler geworden, doch nicht so sehr, dass man wirklich fror; die Nebelfeuchte war klamm und machte die Kleider schwer. Magdalena schüttelte es, wie es sie jeden Morgen schüttelte: Auch das Klosterleben hatte sie nie daran gewöhnen können, in ihren Kleidern zu schlafen, und sie erschauerte jeden Morgen, an dem sie in ihrem Habit erwachte. Im Kloster hatte sich das Gewand nicht so wie hier über Nacht mit Feuchtigkeit vollgesogen – dafür war die Temperatur in ihrer Zelle selbst im Hochsommer deutlich kälter gewesen.
Sie betrachtete einen Wassertropfen, der an der Borke eines Strauchs herunterlief, ein Zickzack-Kurs, von den Hindernissen in seinem Lauf erzwungen, und wie der Tropfen immer mehr an Substanz verlor, je weiter sein Weg wurde. Bevor er auf die Erde gelangen und seinen Beitrag zu ihrer Tränkung leisten konnte, versickerte er auf der Astrinde; nach dem nächsten Blinzeln sah man nicht einmal mehr seine Spur. Magdalena wandte den Blick ab und sah zu, wie Bruder Girolamo aus dem Wohngebäude trat.
»Ich habe eine Nachricht hinterlassen und zu erklären versucht, was hier geschehen ist«, sagte er. »Ich denke, demnächst werden die Bewohner nahe liegender Höfe nachsehen kommen, warum man von den Leuten, die hier gelebt haben, nichts mehr hört und sieht.«
»Ich glaube kaum, dass die lesen können«, erwiderte sie. Sie ahnte, woher ihr Widerspruch kam – er hatte nichts mit der Sache zu tun, sondern damit, dass Bruder Girolamo mit seiner Meldung, wo er gewesen war und was er getan hatte, ganz subtil anzudeuten schien, dass sie die Anführerin war. Seit ihrer Auseinandersetzung wegen der Desertion des Scharführers hatte er sich so verhalten. Sie brauchte nicht einmal in ihn hineinzusehen, um zu wissen, dass sie ihn treffend charakterisiert hatte: Er war so beleidigt, dass er eigene Nachteile in Kauf nahm – zum Beispiel den, jemandem die Führung auf einem Weg zu überlassen, der diesen Weg noch nie gegangen war, nur um den vermeintlichen Kontrahenten zu strafen und ihm die Gelegenheit zu verschaffen, sich zu blamieren. Der Trotz, den sie gegen ihn spürte, war absolut unchristlich und einer Magd des Herrn nicht würdig, aber sie spürte ihn dennoch.
Sie musterte die kleine Gruppe. Radegundis und Immaculata gaben ihren Blick zurück, Immaculata mit Nervosität, Radegundis mit Gelassenheit. Ihr gestriger Ausbruch schien vergessen und der Grund
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