Die Braut des Herzogs (German Edition)
du, ich war so oft in seiner Gesellschaft, wir haben viel miteinander gesprochen. Ich selbst habe ihm von meinem verschollenen Stiefbruder erzählt! Ich habe es einfach nicht ausgehalten und mußte mit einem Menschen darüber sprechen. Von all meinen Bekannten habe ich ausgerechnet Valliseau dafür ausgewählt. Er schien mir so ehrlich, so vertrauenswürdig! Ich ahnte zwar, daß er nicht beabsichtigte, mir einen Heiratsantrag zu machen, den ich auch mit Sicherheit abgelehnt hätte. Aber daß er sich nur an mich herangemacht hatte, um an Informationen über deinen Sohn heranzukommen …« Marilla bemerkte die zusammengekniffenen Lippen ihrer Stieftochter und wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. »Du wirst ihm bestimmt auch gefallen haben«, beeilte sie sich zu versichern, um Olivia zu beruhigen.
Ihre Worte hatten jedoch die gegenteilige Wirkung: »Oh, vielen Dank!« fuhr diese auf. »Dann bin ich ja beruhigt! Der Gedanke, mich mit einem französischen Spion wochenlang getroffen zu haben, ohne daß ich ihm gefallen hätte, hätte mich doch zutiefst erschüttert.« Sie warf mit einer theatralischen Geste die Hände über den Kopf: »Der arme Valliseau. Tut seine Pflicht und gibt sich dabei mit einem Frauenzimmer ab, das ihm nicht gefällt. Nein, das wäre zuviel für mich gewesen.«
»Du weißt, so habe ich das nicht gemeint«, sagte Marilla leicht verärgert.
Olivia bereute schon, daß sie sich hatte hinreißen lassen: »Verzeih«, sagte sie reuig. »Was mir jedoch einfach keine Ruhe läßt, ist der Gedanke, daß ich mich so oft mit dem Franzosen getroffen habe, ohne Verdacht zu schöpfen. Aber Wellbrookshatte einen Verdacht! Wie kam er dazu? Er war doch kaum in dessen Nähe!«
Im ersten Wagen schilderte der General seiner verehrten Freundin die Vorzüge seiner Heimatstadt und unterbreitete ihr die Pläne, die er sich für die Unterhaltung seiner Gäste zurechtgelegt hatte. Man würde am kommenden Tag als erstes die berühmte Kathedrale besichtigen – deren Krypta und Querschiffe aus dem 13. Jahrhundert stammten – wie er stolz zu berichten wußte. Als nächstes mußte Mylady das hübsche Giebelhaus sehen, das 1771 an der High Street errichtet worden war. Er erzählte Mylady, daß dort aufgrund einer Stiftung sieben arme Reisende für jeweils eine Nacht kostenlos beherbergt und verköstigt werden mußten. Lady Darlington hörte seinen Ausführungen ungewöhnlich schweigend zu und beteuerte nur ab und zu schläfrig, wie sehr sie sich auf die geplanten Ausflüge freue.
»Ein besonderer Genuß wird es sein, in Ihnen einen wohlinformierten Führer zu haben, mein lieber Freund«, setzte sie hinzu. »Ich muß leider gestehen, daß ich über keinen so hohen Kunstverstand verfüge, und darum ist es mir eine besondere Freude, in Ihrer sachkundigen Gesellschaft zu sein.«
Der General war über diese Worte natürlich sehr geschmeichelt und erklärte strahlend, es wäre ihm das größte Vergnügen, seiner teuren Lady Darlington immer und überall zu dienen. Er hätte noch gerne mehr gesagt. Ja, er war sogar versucht, im freudigen Überschwang die Hand seiner Angebetenen zu ergreifen – als ihm ein verächtliches Hüsteln die Anwesenheit seiner Schwester allzu deutlich in Erinnerung rief. Er setzte sich abrupt gerade, und ein tiefer Seufzer verriet, daß er die gute Ethel im Augenblick meilenweit weg wünschte. Die Lust an den Schilderungen seiner Heimatstadt war ihm schlagartig vergangen, und er hätte es vorgezogen, die Reise zumindest eine Zeitlang schweigend fortzusetzen. Doch auch dieser Plan wurde von seiner Schwester vereitelt, die ungeduldig fragte: »Und die Burgruine? Was ist mit der normannischen Burgruine? Du wirst doch nicht vergessen, diese unseren Gästen zu zeigen?«
Der General erwiderte gereizt, daß er diese keinesfalls zu vergessengedachte, aber daß ja sie fortfahren könne, Mylady die Sehenswürdigkeiten zu beschreiben, da sie es ja anscheinend ohnehin besser wisse.
Das wollten nun beide Damen nicht gelten lassen, und sie beschworen ihn, in seinen Ausführungen fortzufahren. Der General war besänftigt, und man beendete die Fahrt in relativ harmonischer Atmosphäre.
Olivia schob die schweren Samtvorhänge auseinander und betrat aufatmend die Terrasse. Es war ein lauer Frühsommerabend geworden, und da man das Dinner frühzeitig eingenommen hatte, war es auch noch nicht dunkel. Ihr Blick streifte über die weitläufige, wohlgepflegte Gartenanlage, die der große Stolz von Miss Gleavensham war.
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