Die Braut des Kreuzfahrers
Frauen, einem Säugling und zwei Männern, einem alten und einem jungen, fehlte jede Spur.
Gottfried war sich ungemein lächerlich vorgekommen, und der Zorn hatte ihn gepackt. War er ins Heilige Land gefahren, um sich wegen einiger Huren in den Kampf zu stürzen? Denn Huren waren sie gewesen, diese Weiber, keine einzige unter ihnen war ehrbar. Er war kein Mönch, sondern ein Ritter, er kannte die Gepflogenheiten der Kämpfer, die bei größeren Heerzügen stets Weiber im Tross mitführten, Mägde und Wäscherinnen, die den Männern auch andere Dienste leisteten. Zudem musste er bekennen, dass auch er selbst früher hie und da bei einer Magd gelegen hatte, niemals jedoch bei einer verheirateten Frau, das wäre eine noch schlimmere Sünde gewesen. Allerdings hatte er geglaubt, die Kreuzfahrer vor Akkon würden sich solch sündiger Gebräuche enthalten, zumindest jene, die von Adel waren. Aber er hatte sich gewaltig getäuscht – das Hurenviertel im Lager war ausgedehnt und wurde ganz offensichtlich von allen Pilgern besucht, ganz gleich wie ihr Rang und Stand war. Zahlreiche christliche Jungfrauen waren schon vor Monaten herbeigereist, um den Kreuzrittern die lange Belagerungszeit zu versüßen, auch Jüdinnen und sogar Sarazeninnen sollten sich dort aufhalten. Wer konnte sagen, ob bei diesem heimtückischen Überfall nicht Verrat im Spiel gewesen war?
Er war zu aufgewühlt, um einschlafen zu können, so setzte er sich schließlich auf dem Lager auf, rückte näher an die vom Zeltdach herabhängende Laterne heran und öffnete die kleine Truhe, in der er einige seiner Bücher verstaut hatte. Vor allem ein Psalter, den er in Marseille einem jüdischen Händler abgekauft hatte, erregte jetzt seine Neugier. Es war ein besonders schönes Büchlein, der Einband von feinem hellbraunem Leder, die Schrift winzig klein und gleichmäßig und mit kunstvoll gestalteten farbigen Initialen geschmückt. Die Lektüre brachte ihm jedoch nicht die erhoffte Entspannung, schon gar nicht, als er befremdet feststellte, dass auch ein Kapitel des Hohelieds des Königs Salomon in die Sammlung aufgenommen worden war. Er schloss das Buch, drückte die Buchdeckel fest zusammen, denn die Pergamentseiten wollten sich wieder aufblättern, und überlegte, ob er die Lampe mit Öl auffüllen sollte, da sie zu flackern begann. Eine Weile verfolgte er den irrwitzigen Todesflug der Insekten, die die Lampe voller Sehnsucht umschwärmten, um dann im Augenblick der Erfüllung, wenn sie das gleißende Licht berührten, mit einem hässlichen Knistern zu verbrennen.
Seine Gedanken wanderten ab, zogen ihn auf die steilen grauen Pfade der Unzufriedenheit, des Trotzes, der Kümmernisse, und er war schwach genug, ihnen zu folgen. Zwei seiner Ritter waren an einem Fieber erkrankt und befanden sich in der Pflege der Johanniter, doch es gab nur wenig Hoffnung für sie. Man hatte ihm gesagt, dass zahllose Ritter während der Belagerung Opfer solch heimtückischer Krankheiten geworden waren. Vor allem die deutschen Ritter, die nach dem unglücklichen Tod des Kaisers Barbarossa noch den Weg ins Heilige Land fanden, hatten schlimme Seuchen ins Lager eingeschleppt. Auch Friedrich von Schwaben, der mutige Sohn Barbarossas, war im Januar gestorben, und sein Vetter Leopold von Österreich hatte sich inzwischen zum Führer der deutschen Ritter gemacht. Er war ein hitziger Mensch, der sich als tatkräftiger Kämpfer erwiesen hatte, doch hörte man auch, dass die deutschen Ritter ihm nur ungern folgten, sie trauerten Barbarossas Sohn nach …
Gottfried musste nun an seinen eigenen Vater denken, den Grafen Rotrou von Perche, der ihn lange nicht so freudig wie erhofft hier vor Akkon begrüßt hatte. Er hatte ihn sogar einen ungehorsamen Sohn genannt und war ärgerlich gewesen, dass Gottfried die Herrschaft des Perche seinem Bruder Stephan anvertraut hatte, der viel zu jung und unerfahren sei. Was, wenn die Herren von Bellèmes die alte Fehde neu aufleben ließen? Zudem machte Rotrou sich Sorgen, dass König Richard von England wortbrüchig werden und in die Heimat zurückkehren könnte, anstatt hierher nach Akkon zu reisen. Dann würde der englische Löwe nicht zögern, über das Perche herzufallen, denn der junge Regent sei unerfahren und viel zu schwach, sich gegen einen Überfall zu behaupten. Zumal der Lehnsherr, der französische König, keine Waffenhilfe leisten könne, da er hier vor Akkon weile, getreu dem Eid, den er geleistet hatte. Die Nachricht von Richenzas
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