Die Braut des Kreuzfahrers
vor einem König noch vor einem frommen Kreuzritter Achtung hatte. Gott im Himmel, vielleicht hatte er ja recht. Nach allem, was sie heute Nacht erfahren hatte, waren wohl sehr viele der Pilger recht sündige Menschen …
» Auf Zypern wird Richard so genannt. Er trägt ja auch einen goldfarbenen Löwen auf seinem Schild, der eitle Bursche. «
» Hast du ihn etwa gesehen? «
» Wir haben sogar vor ihm gesungen, und ich habe Feuer gespuckt «, brüstete er sich. » Das war zu seiner Hochzeit mit Berengaria von Navarra. Goldmünzen haben sie uns zugeworfen, und prächtige Gewänder bekamen wir zum Geschenk. «
Er hielt inne und sah sie grinsen, so wie sie es früher getan hatte, wenn er sich allzu sehr in seine Geschichten verstieg.
» Nun ja « , lächelte er verlegen. » Ich rede die graue Wirklichkeit bunt, streue silbrigen Sand und rosige Perlen darüber, damit sie Glanz und Farben bekommt. Was ist daran schlimm? «
» Gar nichts « , meinte sie zärtlich und rieb über sein bloßes Knie. » Solange man nur weiß, dass man nicht jedes deiner Worte auf die Goldwaage legen darf. «
Er lehnte sich ein wenig zurück, sodass sie sein Gesicht nicht mehr deutlich erkennen konnte, doch ihr schien, als habe es einen bitteren, fast zornigen Ausdruck angenommen.
» Und du? Wie kamst du auf die verrückte Idee, deinen Ehemann auf diese Pilgerfahrt zu begleiten? Aus Furcht vor dem Höllenfeuer? Aus zärtlicher Liebe zu Ivo Beaumont? «
Er hatte sich diesen Namen gut gemerkt. Es war lachhaft. War Ambroise damals vielleicht gar aus Eifersucht davongelaufen?
» Wie kommst du auf den Gedanken, ich könnte Ivos Ehefrau sein? «
Er erstarrte und näherte sich ihr dann, um aus ihrem Gesicht zu lesen, ob sie einen Scherz mit ihm machte.
» Du hast ihn … nicht geheiratet? «
» Nein! « , versetzte sie ärgerlich.
Auf keinen Fall würde sie ihm jetzt umständlich erklären, was damals zwischen ihr und Ivo geschehen war. Doch er fragte gar nicht danach, sondern fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, rieb sich die Wangen und begann schließlich zu kichern.
» Ich habe ihn gleich erkannt, als er vor drei Tagen hier auftauchte. Deshalb glaubte ich … Was bin ich doch für ein Dummkopf! «
Er lachte über sich selbst, es klang fröhlich und wie von einer Last befreit. Wie habe er nur glauben können, sie sei auf diesen Burschen hereingefallen? Auch ihre Eltern hätten gewiss gesehen, dass Ivo Beaumont nichts taugt. Ein feiner, glatter Schmeichler und Weiberverführer sei er und nur auf die reiche Erbschaft des Jean Corbeille aus. Sie musste ihn am Arm rütteln, da er kaum damit zu Ende kommen wollte.
» Wo ist Ivo aufgetaucht, Ambroise? Wo hast du ihn vor drei Tagen gesehen? «
Gleich wurden seine Augen wieder schmal, und in den Schlitzen glomm es feindselig.
» Ist dir das so wichtig, Tiessa? Nun, dann sollst du es erfahren. Hier habe ich Ivo Beaumont gesehen. Hier war er seitdem jeden Abend, er hat gespielt und war auch bei den Huren. Allerdings nur dann, wenn er im Spiel gewonnen hat. Er scheint einen leeren Beutel zu haben, der schöne Knappe Ivo … «
Er unterbrach sich, denn in diesem Augenblick vernahm man den gellenden Schrei einer Frau. Er hatte nichts mit den sonstigen Geräuschen des Hurenviertels zu tun, wo immer wieder Frauen aufkreischten und schrill lachten – es war der Schrei eines Menschen in äußerster Todesangst. Ambroise sprang auf, schob Tiessa hastig in die enge Nische zwischen Zelt und Teppich, dann eilte er davon.
Was – um Gottes willen – war geschehen? Mit weit aufgerissenen Augen stand sie in der Finsternis und lauschte auf die erschreckenden Geräusche um sie herum. Verzweifelte Hilferufe erklangen jetzt von mehreren Seiten, Kinder weinten, Männer fluchten, dazu hastige Fußtritte, ein Kessel stürzte um. Ein sirrendes Geräusch war zu vernehmen, als ob jemand eine Zeltplane mit einem Messer durchschnitt. Dann ertönte ein seltsames Gurgeln dicht neben ihr im Zelt, und sie begriff entsetzt, dass man einem Menschen die Kehle durchgeschnitten hatte.
» Ein Überfall! Kommt alle herbei! «
» Die Schweine schleppen die Frauen fort! «
» Feuer! Die Zelte brennen! «
Gelbroter, flackernder Schein erleuchtete unheilvoll die Nacht, Flammen züngelten zwischen den Zelten empor, Funken stoben auf und verteilten sich wie glühende Insektenschwärme. Urplötzlich wurde der schützende Teppich weggerissen. Vor ihr im rötlichen Licht stand eine schwarze Gestalt mit vermummtem
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