Die Braut des Kreuzfahrers
Nein, es war auf jeden Fall klüger, gleich in Amicias Dienste zu treten. Nur musste sie ihrer Freundin diesen Entschluss sehr vorsichtig beibringen, sie wollte Dinah auf keinen Fall verletzen.
Wie verlockend doch das klare, türkisfarbene Meer glitzerte. Hie und da lag ein flacher rötlicher Steinbrocken am Strand, auf dem sich die Seevögel niederließen, man sah auch angeschwemmtes Strandgut und Schlieren von vertrocknetem Seetang. Wie viel angenehmer wäre es doch, direkt am Strand zu gehen, um die kühlen Wellen an den bloßen Füßen zu spüren und ihr atmendes Geräusch zu hören. Tiessa hatte das Meer bisher nur als feindseliges Element erlebt, ein Hort gefährlicher Ungeheuer, die die Wellen aufwühlen und ganze Schiffe in die Tiefe reißen. Oder als gleißende, schweigende Fläche, in der das Schiff hilflos vor sich hin treibt, unfähig, ohne Wellen und Wind das rettende Land zu erreichen. Jetzt aber erschien ihr das große Wasser freundlich gesinnt, ein williger Spielgefährte, der Kühlung und Vergnügen versprach. Die englischen Ritter hatten nicht selten im Meer gebadet und viel Spaß dabei gehabt – das hatte sie gemeinsam mit Beatrice vom Dach des Hauses in Akkon beobachtet.
» Ob wir vielleicht einmal Rast machen? «
Man konnte in der Ferne schon die Umrisse der Kreuzritterburg Casal Imbert erkennen. Der kantige Bau erschien im Sonnenlicht fast goldfarben. Zu Hause im Perche hätte ein solches Bauwerk vermutlich klobig und düster ausgesehen, wie ein grauer Klotz vor dem wolkenbezogenen Himmel – hier aber im Licht des Heiligen Landes wirkte ein solches Bauwerk wie eine goldene Engelsburg vor den blaugrünen Fluten des Meeres.
» Wenn wir heute an unser Ziel gelangen wollen, sollten wir jetzt noch ein Stück laufen und erst bei der Steige von Tyros rasten « , erklärte Dinah.
Dies sei ein weißer Fels, der sich jenseits der Burg direkt am Ufer erhebe, ein Berg, in den das Meer Grotten und Höhlen gewaschen habe. Dort sei der Strand so schmal, dass den Reisenden nichts anderes übrig bliebe, als den Weg über den Fels zu nehmen. Das sei mühsam und besonders für Wagen und Maultiere ein Abenteuer. Wenn man dieses Hindernis jedoch überwunden habe, sei schon fast die Hälfte des Wegs nach Tyros geschafft.
Dinah reichte ihr den Wasserschlauch und drehte sich dann nach den beiden Muselmaninnen um, die inzwischen das Schwatzen und Lachen eingestellt hatten. Hitze und Staub forderten ihren Tribut, Leila hatte sich eine Blase am Zeh gelaufen, Sulamith jammerte, weil das Bündel gar so schwer auf ihrer Schulter laste. Schließlich warf Leila ihrer Freundin vor, aus lauter Geiz zu Fuß zu laufen, denn sie habe genug Geld, um für sie alle beide einen Platz auf einem Boot zu zahlen.
Der Streit war heftig, und Tiessa, die zunächst kein Wort verstand, fürchtete schon, die beiden Frauen könnten übereinander herfallen. Doch noch während sie einander beschimpften, begannen sie zu lachen, und nach kurzer Zeit waren sie wieder versöhnt.
Inzwischen waren auch die Klosterfrauen nicht mehr so rasch unterwegs wie zu Anfang, und die Reisegruppe schloss sich wieder enger zusammen. Agnes schien vorerst mit ihren Verwünschungen am Ende zu sein, was wohl daran lag, dass die Stadt Akkon nur noch daumengroß in der Ferne zu sehen war. Dafür lösten sich nun die Zungen ihrer drei Mitschwestern, die bisher vor lauter Anstrengung kaum ein Wort herausgebracht hatten. Während Agnes schweigend und mit unheilschwangerer Miene vor sich hin stapfte, fielen die drei neugierig über Tiessa her.
» Aus dem Perche kommst du, Mädchen? «
Josepha war die Älteste der vier Frauen. Sie war klein und dünn wie ein Hühnchen und hatte ein Gesicht, das an einen jungen Raubvogel erinnerte.
» Ja, aus dem Perche. Aus Nogent-le-Rotrou. «
» Schau an. Schau an. «
Josepha drehte sich zu Philippa um, die ebenso klein wie ihre Mitschwester, jedoch um die Körpermitte rund wie ein Fässchen war.
» Hast du das gehört? Sie kommt aus Rogent-le-Notrou … «
» Was redest du da? Woher kommt sie? «
» Aus dem Perche, meine Liebe. «
» Ach, du meinst Blois? «
» Ich rede vom Perche, Philippa. Mach doch die Ohren auf. «
Jetzt mischte sich auch die dritte Klosterfrau ins Gespräch, die Amicia genannt wurde und noch recht jung war. Sie war jedoch mit sehr schwachen Augen geboren worden und musste oft von den anderen geführt werden, auch stolperte sie sehr leicht, weil sie den Boden vor den eigenen Füßen schlecht erkennen
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