Die Braut des Kreuzfahrers
dorthin zu gelangen, hätten sie an dem Ort des Massakers vorbeigehen müssen. Auch jetzt, da sie von der Küste hinüberstarrte, empfand sie ein tiefes Grauen. Knechte und Sklaven mühten sich, die unseligen Opfer zu verscharren. Über ihnen kreisten Geier, Rabenvögel und auch Möwen in großen Schwärmen, gefräßige Helfer der Vergänglichkeit. Vielleicht hatte die Klosterfrau Agnes diese Aasfresser für Satans Gehilfen gehalten. Sie war etwas wirr im Kopf, diese seltsame Nonne, die ihre Mitreisenden aus vorquellenden blauen Augen anstarrte und mit heiserer Stimme unablässig das himmlische Strafgericht auf die Stadt herabrief.
Der Weg nach Tyros zog sich in nördlicher Richtung an der Küste entlang, eine staubige, sandige Straße, vorbei an halb verdorrten Wiesen und niedrigem Buschwerk. Erst nach einer Weile erblickten sie kleine Getreideäcker, die jedoch alle schon abgeerntet waren, dazwischen ummauerte Obstgärten mit Pfirsichen und Orangen. Auch Feigen- und Olivenbäume, deren Laub silbrig in der Sonne schimmerte, wuchsen hier.
» Gott der Herr wird diese Stadt reinigen mit Feuer und mit Wasser, er wird das stinkende Gewürm der Sünde mit seinem Fuß zertreten und die Arglist seiner Feinde wird an seinem scharfen Schwert zuschanden werden. «
Ein Windstoß zerrte an dem grauen Gewand der Klosterfrau, und Tiessa hatte für einen Moment den Eindruck, Agnes sei in eine große Krähe verwandelt worden und flattere über das Meer davon. Seltsamerweise erleichterte sie diese Vorstellung – ja, sie sollte endlich mit ihrem düsteren Gerede aufhören, diese alte Krähe. Weshalb sollte Gott die Einwohner Akkons bestrafen? Sie waren nicht besser und nicht schlechter als alle übrigen Menschen, die allesamt Sünder waren, Christen oder Muselmanen, wo war der Unterschied? Sollte Gott der Herr lieber Richard Löwenherz bestrafen, der so schön und prächtig daherkam und dessen Herz doch voller Verderbtheit war.
» Weißt du, dass ich diesen Weg vor Jahren gemeinsam mit meinem Ehemann Gilbert gegangen bin? « , sagte Dinah in heiterem Ton. » Allerdings in umgekehrter Richtung – damals holte er mich von Tyros in sein Haus nach Akkon. Wie jung war ich damals. Und wie aufgeregt, denn er hat mit der Hochzeitsnacht gewartet, bis wir zu Hause waren. «
In Dinahs Lächeln lag Versonnenheit, keine bittere Trauer. Voller Bewunderung begriff Tiessa, dass ihre Freundin die schöne Zeit an der Seite ihres Ehemannes als ein Geschenk Allahs betrachtete, für das sie dankbar sein durfte, dem sie aber nicht nachtrauern musste. Stolz erzählte sie nun, wie reich ihre Eltern sie ausgestattet hätten. Drei Wagen, jeder von zwei Pferden gezogen, hätten für all die Teppiche und Truhen, den Hausrat und die anderen Dinge kaum ausgereicht. Gilbert habe damals den Kopf geschüttelt und gescherzt, ihre Eltern hätten wohl geglaubt, er sei ein armer Wicht und führe sie in ein leeres Haus.
» Wie alt warst du, als du geheiratet hast? «
» Ich war sechzehn – ein verwöhntes, widerspenstiges Kind. Keiner hat mir gefallen – der Franke aber mit seinen hellen Augen, der so fremd daherkam, den liebte ich gleich. «
Tiessa überlegte, dass ihre Freundin inzwischen wohl Mitte zwanzig sein musste, also ein gutes Stück älter als sie selbst. Lag es daran, dass sie sich so mutig und ohne zu jammern in ihr Schicksal fand? Oder besaß sie eine ganz besondere innere Stärke, die sie in die Lage versetzte, trotz aller Schrecken und Verluste weiterzuleben und sogar Güte und Fröhlichkeit auszustrahlen? Alles, was auf Erden geschah, sei Allahs Wille, hatte sie einmal gesagt. Tiessa hatte dieser Satz verwirrt, denn er klang nicht viel anders als das, was die christlichen Priester predigten.
» Meine Eltern werden viel Kummer haben, weil Said nicht mehr am Leben ist « , sagte Dinah. » Er war ihr Lieblingssohn. Allah hat gewollt, dass er so früh ins Paradies einging. Aber sie werden auch froh sein, dass ihre Tochter zu ihnen zurückkehrt, denn ich will bei ihnen sein, wenn sie alt sind und meine Hilfe benötigen. «
Tiessa blickte aufs Meer hinaus, wo sich die Mittagssonne wie ein gleißendes Band spiegelte. Gewiss war es besser, Dinahs Eltern, die um ihren Sohn trauerten, nicht zur Last zu fallen. Wer weiß, wie sie es aufnehmen würden, dass ihre Tochter ausgerechnet eine Kreuzfahrerin zu ihnen führte. Hatte nicht ein Kreuzfahrer Dinahs Bruder erschlagen, waren es nicht Christen gewesen, die ihr Haus in Akkon in Besitz genommen hatten?
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