Die Braut des Kreuzfahrers
Eltern später noch gestehen, wenn sie erst mit Ivo verheiratet war. Dann würde Corba zwar den Kopf schütteln, aber schließlich würden sie darüber lächeln.
Als man sich zur Ruhe begeben hatte, lag sie schlaflos in ihrem Bett, starrte mit offenen Augen in die Dunkelheit und lauschte auf die altvertrauten Geräusche. Das leise Flüstern der Eltern, die vor dem Schlaf noch einige Dinge miteinander beredeten. Jordans Schnarchen, das manchmal von einem Schnaufen unterbrochen wurde, weil Millie ihm in die Seite stieß. Das Knacken und Knarren der Balken und Bretter, aus denen der obere Teil des Hauses gebaut war, das leise Rascheln einer kleinen Maus, das Geräusch des Windes, der um das Anwesen strich. Hin und wieder bellte irgendwo im Ort ein Hund, ein anderer antwortete, dann war wieder Stille.
Immer wieder rief sie sich den Augenblick zurück, da sie an seiner Brust gelegen hatte, den Geruch seines Gewands, den Druck seiner Arme und den süßen Aufruhr ihrer Empfindungen, als er sie küsste. Die Worte, die er ihr sagte: Er liebe sie und fände keine Ruhe mehr … Ja, vielleicht waren seine Worte noch betörender gewesen als seine Nähe und sein Kuss. Worte, die berauschten, die aussprachen, worauf man insgeheim so sehnlich gehofft hatte.
Sie drehte sich von einer Seite auf die andere, schob die wollene Decke zur Seite, um freier atmen zu können, und dachte darüber nach, ob solches Glück nicht vielleicht gar Sünde war. Fleischliche Lust, so sagte der Pfarrer, war auf jeden Fall eine schlimme Sünde. Nur wer ein Leben lang keusch blieb, konnte seine Seele rein davon halten. Ein Mönch oder eine Nonne, ein Eremit, die waren der Wollust nicht unterworfen. Zumindest dann nicht, wenn sie ihr Gelübde hielten. Wer aber eine Ehe einging, der musste sich fleischlich mit dem Ehegatten vereinigen. Diese Sünde war nicht gar so groß, wenn sie nur deshalb geschah, um Kinder zu zeugen.
Aber eine Umarmung? Ein Kuss? War das auch schon sündig? Sie drehte sich wieder auf die andere Seite und zog die Decke über sich, denn jetzt fror sie auf einmal. Wahrscheinlich war es so, sie würde es beichten müssen, aber nicht jetzt, später vielleicht. Im Augenblick konnte sie keinerlei Reue empfinden.
Der Wind trug den schwachen Klang einer Glocke heran, im nahe gelegenen Kloster St. Denis wurden die Mönche jetzt zum Gebet gerufen. Es war also längst Mitternacht.
Sie würde Ivo Beaumont heiraten – was sollten die Eltern schon gegen ihn einwenden? Schließlich war er Maries Sohn, und Marie war eine gute Freundin ihrer Mutter gewesen. Wo würden sie miteinander leben? Würde er mit ihr nach Alençon zurückkehren? Wohl nicht, denn dort saß sein Bruder, den er nicht leiden konnte. Also würden sie wahrscheinlich hier in Nogent-le-Rotrou bleiben! Das war großartig, so brauchte sie ihre Familie nicht zu verlassen. Ob der Vater ihnen ein eigenes Haus bauen würde? Raum war genug auf dem Anwesen, man konnte eine der Remisen abreißen. Der Vater war kein armer Mann und Ivo in den Diensten des Burgherrn – auch der konnte einiges zu diesem Bau beitragen. Ivo würde jeden Morgen gemeinsam mit dem Vater hinauf in die Burg gehen, dort die Aufträge des Herrn erfüllen und am Abend zu ihr zurückkehren. Vielleicht würde der Burgherr ihn auch als Boten aussenden, dann würde sie Tage und Wochen auf seine Rückkehr warten müssen. An eine Fehde oder dergleichen wollte sie besser nicht denken – zwar hatte Ivo dann die Möglichkeit, sich vor seinem Herrn auszuzeichnen, vielleicht auch mit Land oder Geschenken belohnt zu werden, doch wozu brauchte er das alles? Wenn er sie heiratete, würde er eines Tages Jeans Erbe sein, denn Jordan war nicht Jeans Sohn. Sie würde den elterlichen Besitz bekommen. Ivo konnte also ruhig bei ihr bleiben, er brauchte sich keinen Ruhm zu erkämpfen, er hatte ja sie, Tiessa, seine Frau.
Gerade als sie sich vorstellte, wie viele Kinder sie miteinander haben würden, legte sich endlich der Schlaf auf ihre müden Augenlider, und die Bilder der Knaben und Mädchen begleiteten sie auf die schwankende Fahrt durch das unstete Reich der Träume.
Am folgenden Tag war sie todmüde und zugleich aufgewühlt wie nie zuvor. Zu allem Unglück regnete es, Nebel verhüllte Wiesen und Wälder, auch die zinnenbesetzte Burgmauer und der breite Turm waren von weißlichem Dunst umweht. So gern sie sonst mit anderen schwatzte – jetzt wäre sie am liebsten ganz für sich allein geblieben, doch das schlechte Wetter bewirkte,
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